Kein Fußballplatz in Bouwer

Eine argentinische Kleinstadt wehrt sich gegen ihr Image als Müllhalde der Provinz

  • Fabiana Frayssinet, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Müllhalde in Bouwer wird seit drei Jahren nicht mehr befüllt, doch der alte Abfall lagert hier noch immer offen herum und verschmutzt Luft, Boden und Wasser. Die Bewohner planen ein Müllfestival.

Bouwer will zeigen, was es hat: Müll. Daher will die kleine argentinische Stadt ein Abfallfestival feiern - als Widerstand gegen Verseuchung und Diskriminierung. 28 Jahre lang war die 2000-Einwohner-Stadt Bouwer die Müllkippe der Provinzhauptstadt Córdobas und der umliegenden Gemeinden.

Nach jahrelangen Protesten der Einwohner wurde die zentrale Müllkippe zwar vor drei Jahren geschlossen. Doch wurde das Areal nie gesäubert und versiegelt, und in neun offenen Gruben lagern bis heute zwölf Millionen Tonnen Abfall. »Abgesehen davon, dass die vor sich hin rottenden Abfälle unsere Lebensqualität beeinträchtigen, verseuchen sie immer noch Böden, Gewässer und Luft«, kritisiert Adolfo González, der Umweltberater der Gemeinde.

Das Festival am 22. Februar soll nicht nur auf dieses Problem aufmerksam machen, sondern auch auf andere Quellen der Verschmutzung, denen die Menschen lange Zeit ausgesetzt waren. Davon zeugen der alte Müllverbrennungsofen und eine Grube mit giftigen Industrierückständen in der Stadt. Von 1984 bis 2005 gab außerdem die Bleischmelze ihre giftigen Dämpfe in die Luft ab. Heute ist die Stadt von Gensojaplantagen umgeben, die aus der Luft mit Agrarchemikalien besprüht werden.

Seit dem Jahr 2000 lag die Sterberate bei Säuglingen in Bouwer bei 22 pro 1000 Lebendgeburten. Die Rate ist fast doppelt so hoch wie der 2010 ermittelte Durchschnittswert der Provinz Córdoba. Wie die Stiftung zum Schutz der Umwelt (FUNAM) warnt, treten bei Menschen, die in der Nähe von Müllhalden leben, Krankheiten wie Blasen-, Leber-, Prostata-, Lungen- und Uteruskrebs auf. Auch häufen sich Fälle von Leukämie, Fehlentwicklungen bei Embryonen und Missbildungen bei Neugeborenen. »Aus Müllkippen steigen nicht nur Methan und CO2, sondern auch andere toxische und krebserregende Gase auf«, berichtet FUNAM. Sind die Abladeplätze nicht geschlossen, transportiert der Wind viele der giftigen Substanzen in andere Teile der Provinz. »Allein der Gestank löst Übelkeit aus.«

Nun wollen die Behörden in Bouwer eine neue Müllhalde öffnen, die 2500 Tonnen Müll am Tag aufnehmen soll. »Das ist doch ein schlechter Witz: eine Müllkippe zu schließen, um eine andere in nächster Nähe zu errichten«, sagt Mónica Rescala von der Initiative Müllfreies Bouwer. Auch darauf soll das Festival aufmerksam machen. Darüber hinaus soll 2,5 Kilometer von Bouwer entfernt eine Biodekontaminierungsanlage entstehen. In diesen Anlagen werden in der Regel Rückstände der Erdölproduktion biologisch abgebaut. »Unserer Stadt bleibt auch nichts erspart«, meint González.

63,3 Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung. Und nicht nur die Gesundheit der Menschen in Bouwer leidet. Auch in sozialen Aspekten hinkt die Stadt der übrigen Provinz hinterher: Die Arbeitslosigkeit und die Analphabetenrate gehören zu den höchsten der Provinz. Um sich vor den Gesundheitsgefahren zu schützen, bleiben viele Menschen möglichst zu Hause. »Ich wäre so gern draußen, aber ich muss immer zu Hause bleiben, wo alles mit Moskitonetzen abgedichtet ist, damit keine Fliegen und Mücken zu uns reinkommen«, beschwert sich der zehnjährige Alan Serrano. »Es gibt eine große Müllkippe hier, aber keinen Fußballplatz.«

Die Bewohner der Kleinstadt fordern die Wiederaufbereitung von Abfall. »Wir sind der Meinung, dass kein Ort geopfert werden sollte«, meint Mónica Rescala. Sie selbst recycelt ihren Müll soweit es geht und fordert, das auch behördlich in der ganzen Stadt durchzusetzen. »Jetzt ist es Bouwer, doch unser Schicksal kann schon bald eine andere Stadt treffen.« IPS

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