Die Angepasste
Yasmin Fahimi wird neue Generalsekretärin der SPD. Ihren Aufstieg verdankt sie einem fein gesponnenen Netzwerk
Bei ihrem ersten Auftritt vor Journalisten im Willy-Brandt-Haus ist schon nach wenigen Minuten das nette Lächeln aus dem Gesicht von Yasmin Fahimi verschwunden. Soeben hat die designierte Generalsekretärin die Gretchenfrage der Sozialdemokraten, ob sie in Ostdeutschland auch einen Ministerpräsidenten der LINKEN wählen würden, aus Sicht von SPD-Chef Sigmar Gabriel nicht gut beantwortet. »Die SPD ist immer zu vernünftigen Koalitionsgesprächen bereit gewesen«, sagt Fahimi ohne Umschweife in Richtung des fragenden Reporters. Gabriel hört sich das ruhig an und greift dann ungefragt ein. »Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Das entscheiden die Landesverbände«, erklärt der Wirtschaftsminister lässig. Angesichts der düsteren Aussichten für die Sozialdemokraten bei den diesjährigen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sollen bloß keine Andeutungen über mögliche neue Koalitionsoptionen gemacht werden. Das muss die künftige Generalsekretärin der SPD noch lernen.
Schon auswendig gelernt hat Fahimi hingegen einige Politiker-Phrasen, die sie bei ihrem kurzen Auftritt in der Parteizentrale aufsagt. Sie freue sich »über das Vertrauen des Vorstands«, die SPD sei die »Partei der Arbeit, Gerechtigkeit und Moderne«, und sie selber wolle die Mitglieder »stärker beteiligen«. Sigmar Gabriel steht neben ihr auf dem Podium und lässt die schlanke Frau mit den langen braunen Haaren und dem beigefarbenen Hosenanzug während ihrer gesamten Vorstellungsrede nicht aus dem Blick. Die 46-Jährige spricht bedächtig, mit ruhiger Stimme. Sie präsentiert sich ganz anders als ihre Amtsvorgängerin und jetzige Arbeitsministerin Andrea Nahles, die laut und aufbrausend sein kann. Ein klassischer Generalsekretär wäre auch der als verbaler Wadenbeißer bekannte schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner gewesen, der lange als Favorit für den Posten galt. Allerdings wurde in der Partei in den letzten Monaten immer wieder moniert, dass die SPD nicht jung und weiblich genug sei. Gabriel hat mit der Nominierung Fahimis darauf reagiert. Für Stegner wird ein weiterer Stellvertreterposten geschaffen.
Am Sonntag will die in Hannover aufgewachsene Tochter eines Iraners und einer Deutschen nach ihrer Wahl bei einem Sonderparteitag der SPD in Berlin ihre strategischen Vorstellungen erläutern. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht. Die Wahl ist also reine Formsache. Trotzdem wird Fahimi bis dahin von den Medien weitgehend abgeschirmt. Seit dem Bekanntwerden ihrer Kandidatur Anfang Januar wurden bisher keine Interviews mit ihr geführt. Lediglich auf der Website der Partei ist ein Gespräch mit Fahimi veröffentlicht worden. Offenbar soll sich die Frau aus der Provinz langsam an den Berliner Politikbetrieb gewöhnen. Den kennt sie nämlich bisher vor allem vom Hörensagen. Im Unterschied zu ihren Vorgängern im Amt des Generalsekretärs sitzt Fahimi nicht im Bundestag. Dass sie bald die SPD-Zentrale mit etwa 200 Mitarbeitern führen soll, ist ein großer Karrieresprung für Fahimi.
Bis vor kurzem war sie nur Insidern aus Hannover bekannt. In der niedersächsischen Landeshauptstadt ist Fahimi seit 27 Jahren für die SPD aktiv. Als sie eintrat, war Helmut Kohl Bundeskanzler, Willy Brandt Vorsitzender der Sozialdemokraten, die Grünen zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen. Die SPD war damals für einige junge Linke als Oppositionspartei mit einem relativ starken linken Flügel noch interessant. Zu diesen Leuten zählte Fahimi. Sie war Mitglied im Vorstand des Juso-Bezirks Hannover und gehörte der Leitung der aus dem Hannoveraner Kreis hervorgegangenen marxistischen »Juso-Linken« an. Diese kritisierten nicht nur das kapitalistische System, sondern zuweilen auch die eigene Partei. In der Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft (spw) schrieb Fahimi 1997 gemeinsam mit ihrem Juso-Kollegen Ulf-Birger Franz: »Die SPD ist vollauf damit beschäftigt, über den Bundesrat in Bonn mitzuregieren und in kleinen Zirkeln vorab Kompromisse mit der Bundesregierung auszukungeln.« Zu diesen Kompromissen zählte der - im Text allerdings nicht erwähnte - »Asylkompromiss« von SPD, CDU, CSU und FDP von 1993, der die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl bedeutete. Franz und Fahimi wollten die SPD für »linke Reformpolitik« öffnen und eine neue Generation in der Partei formieren, »die nicht im Mief sozialdemokratischer Hinterzimmerpolitik aufwächst«.
Bekanntlich kam alles ganz anders. Gerhard Schröder übernahm gemeinsam mit den Grünen die Bundesregierung und setzte mit seinen Mitstreitern eine Reformpolitik durch, unter der noch immer viele Erwerbslose, Rentner und Arbeitnehmer leiden. Zahlreiche Wähler und Mitglieder kehrten daraufhin der SPD den Rücken zu. Im Unterschied zu anderen Parteilinken brach Fahimi damals allerdings nicht mit der SPD, sondern passte sich den Gegebenheiten an. Zeitgleich mit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung 1998 schloss sie ihr Chemie-Studium an der Universität Hannover ab. Danach arbeitete sie zwei Jahre als wissenschaftliche Assistentin bei der Stiftung Arbeit und Umwelt der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Anders als die großen Gewerkschaften, wo viele Funktionäre die Agenda 2010 beklagten, lagen die IG BCE und andere kleinere Gewerkschaften eher auf der Linie Schröders. In diesem Umfeld begann Fahimis Aufstieg. Nachdem sie 2002 bei der parteiinternen Bewerbung um eine Wahlkreis-Kandidatur gegen die heutige Bundestagsabgeordnete Caren Marks gescheitert war, konzentrierte sie sich fast ausschließlich auf ihre Arbeit bei der Gewerkschaft. Seit 2005 war Fahimi beim Hauptvorstand in der Abteilungsleitung »Grundsatz und Organisationsentwicklung« angestellt. Mit dem heutigen Chef der IG BCE, Michael Vassiliadis, ist sie privat liiert. Fahimi ist eine eher pragmatische Gewerkschafterin. Sie will zwar Fremdbeschäftigung nicht völlig verbieten, spricht sich aber immerhin für »ein zwingendes Mitbestimmungsrecht« der Betriebsräte bei jeglicher Fremdbeschäftigung aus.
Hilfreich für ihre Karriere war wohl auch, dass Fahimi in jungen Jahren ein feines Netzwerk gesponnen hat. 2001 wurde sie zur deutsch-amerikanischen »Young Leader«-Konferenz der Atlantik-Brücke entsandt. Das Programm richtet sich an junge Führungskräfte. Die Atlantik-Brücke ist ein eingetragener Verein mit etwa 500 Mitgliedern aus den Eliten von Politik, Medien und Wirtschaft. Auch zu Andrea Nahles pflegt Fahimi noch enge Kontakte. Fahimi kennt sie aus Juso-Zeiten. Die beiden Frauen sitzen inzwischen gemeinsam im Vorstand des sozialdemokratisch-grünen-gewerkschaftlichen Vereins Denkwerk Demokratie.
Für die IG BCE ist Fahimi zudem Vorstandsmitglied des »Innovationsforums Energiewende«. Dort haben sich gemeinsam mit der Industriegewerkschaft einige Unternehmen der Energie-, Chemie- und benachbarter Industrien zusammengeschlossen. Anders als der Name des »Innovationsforums« suggeriert, favorisiert der Zusammenschluss aber keineswegs eine schnelle und komplette Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien, sondern vielmehr den Ausbau von Kohlekraft. »Um die Elektrizitätsversorgung in Deutschland zu jeder Tages- und Jahreszeit zu gewährleisten, bedarf es des Erhalts und der Modernisierung von Bestandskraftwerken sowie des Neubaus hocheffizienter Kohle- und Gaskraftwerke«, heißt es in den Kernbotschaften des »Innovationsforums«. Nach öffentlicher Kritik der LINKEN, Fahimi sei eine Lobbyistin der Stromwirtschaft, kündigte sie an, sie wolle das Amt wegen ihres Jobs bei der SPD ohnehin niederlegen.
Ihre Kompetenz in den Bereichen Wirtschaft und Arbeitsmarkt soll für Gabriel den Ausschlag zugunsten von Fahimi gegeben haben. Der Minister will künftig seine Energiewendeprojekte in den Mittelpunkt der politischen Debatten rücken. Da ist es hilfreich, wenn auch die Generalsekretärin aus diesem Bereich kommt und als Vertreterin der Arbeitnehmerinteressen gilt.
Vorstandsmitglieder der SPD finden ausschließlich lobende Worte für die Neue im Willy-Brandt-Haus. Sie sei »sympathisch, klug und eloquent«, heißt es. Einige Genossen aus Bayern monierten allerdings, dass mit Fahimis Nominierung der Proporz nicht gewahrt bleibe. Landtags-Fraktionschef Markus Rinderspacher grantelte, die bayerische Generalsekretärin Natascha Kohnen sei bei der Auswahl vom Parteivorstand einfach übergangen worden. Die Bayern sind der zweitgrößte SPD-Landesverband, aber weder im Bundeskabinett noch in der engeren Parteispitze vertreten. Dagegen haben die Niedersachsen in der SPD nun ein deutliches Übergewicht. Aus diesem Bundesland kommen außer Fahimi auch Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundestags-Fraktionschef Thomas Oppermann.
Wie die Aufgaben in der SPD-Zentrale genau verteilt werden, ist noch unklar. Die SPD will wohl bald einen neuen Bundesgeschäftsführer berufen, der Fahimi unterstützen würde. Das Vorschlagsrecht soll bei der Generalsekretärin liegen. Obwohl Fahimi nun erfahrene Politiker zur Seite gestellt werden dürften, ist die Entscheidung für sie wegen ihrer mangelnden Erfahrung ein Experiment der SPD-Führung. Andererseits spekuliert die Parteispitze darauf, dass eine fachkundige Frau, die neu in der Berliner Politik ist, mit einem neuen Stil Sympathien wecken kann.
Leicht wird sie es nicht haben. Fahimi muss die Große Koalition unterstützen und zugleich die Eigenständigkeit der SPD betonen. Von Vorteil für die künftige Zusammenarbeit dürfte sein, dass Fahimi ebenso wie Gabriel in der politischen Mitte steht. Und die Gretchenfrage nach dem Umgang mit der Linkspartei wird sie sicherlich in Zukunft zu seiner Zufriedenheit beantworten können.
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