Ungewollt im Rampenlicht
Russische Biathleten schockieren kurz vor den Olympischen Spielen in der Heimat mit positiven Dopingproben
Eine gute Nachricht aus Russland bekam Wolfgang Pichler am Dienstagabend immerhin. Kurz nachdem der Biathlonweltverband IBU mit der Meldung von drei positiven A-Proben bei russischen und litauischen Skijägern an die Öffentlichkeit getreten war, hatte der Trainer aus Oberbayern, der seit drei Jahren eine Auswahl russischer Biathletinnen betreut, zum Telefon gegriffen. Pichler wollte von seinem Verband wissen, ob eine seiner vier für Olympia qualifizierten Athletinnen unter Dopingverdacht stünde. »Aus meiner Gruppe ist keine betroffen - von daher bin ich jetzt sauglücklich«, konnte Pichler am nächsten Tag vermelden
Das wars aber auch schon mit den Glücksgefühlen für den 59-Jährigen und - vor allem - für die Olympiagastgeber. In acht Tagen steigt in Sotschi die Eröffnungsfeier der Winterspiele, und Pichler schießt der Schweiß auf die Stirn. »In meinen Augen ist das eine Katastrophe. Das ist ein großer Rückschlag für die Führung im russischen Biathlonverband - die wollten das unter Garantie nicht. Aber es ist auch ein herber Rückschlag für die Olympischen Spiele«, kommentierte der Ruhpoldinger die frischen Verdachtsfälle.
Nach Abschluss des vorolympischen Trainingslagers in Obertilliach war Pichler gerade auf dem Weg in seinen Heimatort, für Donnerstagmorgen um sieben Uhr war der Flug nach Russland gebucht. Dorthin, wo sich nun neue schwarze Wolken über die ohnehin schon schwer belastete Olympia-Ausgabe von Sotschi geschoben haben. In der Wettkampfpause im Dezember wurden in insgesamt vier Proben der drei Biathleten, bei denen es sich um zwei russische und einen litauischen handeln soll, unbekannte Substanzen gefunden. Über eine endgültige Sperre wird erst nach Öffnung der B-Probe und nach Anhörung der betroffenen Sportler entschieden.
In Moskau rief der aufgescheuchte russische Biathlonverband am Mittwoch umgehend eine Sondersitzung des dortigen Anti-Doping-Komitees ein. Eine Institution, die auch in der Vergangenheit reichlich zu tun hatte. Und das nicht nur mit Biathleten: Erst im Dezember war die russische Freestyle-Skifahrerin Anna Orlowskaja für zwei Jahre gesperrt worden. Einen Monat zuvor hatte die Welt-Antidoping-Agentur dem Moskauer Testlabor mit dem Entzug der Zulassung gedroht und eine Verbesserung des Qualitätsmanagements gefordert.
Große Aufregung gab es vor den letzten Winterspielen in Vancouver wegen der russischen Langläufer: Fünf Spezialisten aus dem Riesenreich waren innerhalb eines Jahres - meist wegen Epo-Dopings - gesperrt worden, Kanadas Langlauftrainer Dave Wood forderte den Ausschluss des russischen Teams von den Spielen, und der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge sah sich gezwungen, mit Russlands Sportminister wegen der akuten Dopingproblematik ein ernstes Wörtchen zu reden.
Finnlands Langlauf-Nationaltrainer Reijo Jylhä sah damals gar Doping als »Teil der russischen Kultur« an. Im Februar 2009, unmittelbar vor Beginn der WM in Pyeongchang, waren die Biathleten Dmitri Jaroschenko, Jekaterina Jurjewa und Albina Achatowa gesperrt worden. Bei Olga Pylewa war während der Winterspiele 2006 in Turin das Stimulans Carphedon nachgewiesen worden.
Zwei Olympiaden später wird nun offenbar das nächste Kapitel in dieser unappetitlichen Geschichte geschrieben. »Was für eine Werbung für Biathlon zehn Tage vor Sotschi! Schande über sie!«, twitterte der Franzose Martin Fourcade, Führender im Gesamtweltcup. Und der geschockte Wolfgang Pichler fügte leise hinzu: »Ich bin einfach nur traurig.«
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