Winterspiele in der Sommerfrische
In Sotschi beginnen die wärmsten Winterspiele aller Zeiten - und die teuersten
Wer über Moskau nach Sotschi fliegt, sieht beim Blick aus dem Fenster eine Menge Schnee. Eigentlich sieht er nur Schnee. Bis er endlich sein Ziel erreicht hat, denn in Sotschi ist alles grün und braun, zehn Grad warm, und so wird es auch in den kommenden 16 Tagen bleiben. Spätestens jetzt stellt sich die Frage, warum das Internationale Olympische Komitee (IOC) die XXII. Olympischen Winterspiele ausgerechnet in jenen südwestlichen Zipfel des riesigen und meist so kalten Russlands vergeben hat. Neue Märkte wolle man erschließen, also gingen die Spiele 2014 nach Sotschi und 2018 nach Pyeongchang in Südkorea. Warum jene Erschließung neuer Touristenziele des Wintersports Aufgabe des IOC ist, hat noch niemand erläutert, aber das war noch nie die Stärke des Komitees.
Da in der Bergregion Krasnaja Poljana wenigstens eine dünne Schneedecke liegt - so, wie es Russlands Präsident Wladimir Putin am 4. Juli 2007 bei der Vergabe in Guatemala versprochen hatte -, dominieren bis zum ersten Wettbewerb am Samstag andere Themen die Nachrichten aus Sotschi. An der Wärme des Subtropenorts liegt es jedenfalls nicht, dass die Kosten für die Spiele von umgerechnet mindestens 32 Milliarden Euro - manche Quellen sprechen sogar von 40 Milliarden - sogar die der teuersten Sommerspiele in Peking 2008 überstiegen. Schon eher der Fakt, dass die riesige Imeretinskaja-Bucht, in der nun Eishallen nachts in allen Farben des Regenbogens leuchten und am 12. Oktober ein Formel-1-Rennen ausgetragen werden soll, vor sieben Jahren ein fruchtbares Sumpfgebiet war.
Etwa die Hälfte des Gelds soll in korrupten Kanälen versickert sein, sagt Regierungskritiker Alexej Nawalny. Er legt Berechnungen vor, aber keine Beweise, und so können IOC-Präsident Thomas Bach und Putin leicht über das Thema hinwegsehen. Putin spielt sogar hier und da selbst Korruptionsbekämpfer. Als er vor einem Jahr die Skisprunganlage inspizierte, fragte er vor laufender Kamera den Verantwortlichen: »Sie sagen mir also, dass die Kosten hierfür von 1,5 auf 8 Milliarden Rubel gestiegen sind? Na, ihr macht ja alle ganz tolle Arbeit hier!« Am Tag danach war Achmet Bilalow gefeuert. Der war bis dahin nicht nur Vizepräsident des russischen Olympischen Komitees. Seine Firma baute auch jene Sprungschanzen in Esto-Sadok.
Der Kreml hatte Russlands Oligarchen dazu verpflichtet, sich an den Baumaßnahmen zu beteiligen, doch die wissen längst, dass sich ihr Einsatz nicht rechnen wird. Die Kredite, die sie bei staatlichen Banken aufgenommen haben, werden ihnen aber wohl nach den Spielen erlassen, wenn niemand mehr so streng auf Sotschi schaut. Die 8 Milliarden Rubel (etwa 170 Millionen Euro) für Herrn Bilalows Firma zahlen am Ende also die russischen Steuerzahler.
Zu finanziellen Problemen kommen umwelt- und sicherheitspolitische. Der größte Kostenfaktor waren eine neue Bahntrasse und eine Schnellstraße zwischen Küsten- und Bergregion, die auf Hunderten Betonpfeilern ins Flussbett der Msymta gebaut wurden. Die Straße darf dieser Tage nur von akkreditierten Fahrzeugen befahren werden und wird doch an jeder Brücke und jedem anderen möglichen Zugang von Polizisten bewacht. Die stehen Tag und Nacht in der Einöde herum und schauen in den Wald, um womöglich Doku Chamatowitsch Umarow zu erspähen - den islamistischen Terroristenchef aus Tschetschenien, der mehrfach Anschläge auf die Spiele von Sotschi angedroht hat.
Bis zu 100 000 Soldaten und Polizisten in Sotschi sollen das verhindern. Laut Geheimdienst FSB sollen ja bereits Terroristen vor Ort sein und Anschläge planen. Die Masse an Uniformierten ist indes eher ein Indiz dafür, dass Präsident Putin innenpolitisch zeigen will, dass er für Sicherheit sorgen kann, als dafür, dass wirklich eine Bedrohung besteht, die man nicht auch mit der Hälfte der Polizisten hätte bewältigen können.
Ohnehin werden die Spiele von Sotschi als Versuch Putins missverstanden, der Welt zeigen zu wollen, dass Russland wieder eine Supermacht darstelle. Denn noch viel mehr als aller Welt will er das seinen eigenen Bürgern beweisen. Deren Meinung ist dem Präsidenten letztlich wichtiger. Wenn Russland am abschließenden 23. Februar ganz oben im Medaillenspiegel steht, wird der Plan aufgegangen sein. Als Beweis der Stärke taugten Olympische Spiele schon immer gut.
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