Die »Welt« im Kriegswahn
Wie das Springer-Blatt sich eine Mehrheit für mehr Bundeswehr-Auslandseinsätze zusammenphantasiert
In der deutschen Gesellschaft gibt es seit inzwischen etlichen Jahren ein Paradoxon: Eine Mehrheit der Bevölkerung wählt Parteien, die auf mehr Auslands-, also Kriegseinsätze der Bundeswehr setzen. Und gleichzeitig ist eine Mehrheit der Bevölkerung gegen solche Einsätze. Alle Propagandaversuche von Politik und einem Großteil der Medien haben daran nichts ändern können. Ziemlich konstant um die zwei Drittel der Bürger meinen, die Bundeswehr habe im Ausland nichts zu suchen. Deshalb ließ eine Schlagzeile aufhorchen, mit der die »Welt« jetzt aufwartete. Auf der Titelseite des Springer-Blattes hieß die Aufmachung am Freitag: »Deutsche wollen mehr Auslandseinsätze«.
Das wäre, würde es stimmen, ein signifikanter und womöglich folgenreicher Stimmungswechsel. Im Text allerdings sucht man den Beweis für die schmissige Headline vergeblich. Dort heißt es zunächst mit Bezug auf Infratest dimap, 52 Prozent der Befragten fänden die Äußerungen von Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz über ein stärkeres Engagement Deutschlands in internationalen Krisen »grundsätzlich richtig«. Das ist schon mal keine Zahl, die man als Meinung der Deutschen verkaufen kann – höchstens als Indiz dafür, dass die Gesellschaft in dieser Frage gespalten ist. Interessant wird es aber, wenn man sich die Details ansieht. Im Aufmachertext der »Welt« heißt es weiter, rund 85 Prozent befürworten mehr humanitäre Hilfe und Diplomatie. Wird allerdings konkret nach verstärktem militärischem Eingreifen gefragt – und genau das ist es, was unter »Auslandseinsätze« verstanden wird -, dann stellt sich heraus: Nur lächerliche 22 Prozent sind dafür, 75 Prozent sind strikt dagegen. Dazu passt, dass auch das Ansehen der neuen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen schon in kurzer Zeit deutlich gelitten hat, seitdem sie sogar über weitere Kampfeinsätze der deutschen Truppe schwadroniert.
Das alles heißt: Entkleidet man Gaucks Aussagen von allem pastoralen und präsidialen Geschwurbel und reduziert sie auf den Kern – mehr Verantwortung heißt mehr Krieg -, dann gibt es eine satte Ablehnungsmehrheit. Das allerdings möchte die »Welt« ihren Lesern und Gönnern nicht so unverblümt auf die Nase binden. Man darf davon ausgehen, dass auch in der »Welt«-Redaktion die Schlagzeile der Titelseite nicht von Praktikanten gemacht wird, sondern von der Chefredaktion. Zumindest nicht hinter deren Rücken. In der Freitagausgabe hat sich die Chefetage der »Welt« ihre Welt hemmungslos zusammenfantasiert. Mit den Tatsachen hat das nichts zu tun.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.