Auf zum Kap!

Sebastian Baumgartens »Holländer« in Hamburg

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Gesponnen wird in der Spinnstube von Frau Mary auf den Bühnen längst nicht mehr. Im Schauspielhaus Hamburg produziert man dort diesmal Käse - weil der »Fliegende Holländer« ja aus dem Käseland schlechthin stammt. Sebastian Baumgarten spürt in seiner »Ballade vom Fliegenden Holländer« den Wurzeln der Holländer-Sage bis zu den Buren in Südafrika nach. Dort entdeckt er ihren Ursprung. Als eine Art mythischen Reflex, den die einstige reale Überlegenheit der Holländer am Kap der Guten Hoffnung gegenüber der englischen Konkurrenz hervorrief und weitertrug. Bis zu Richard Wagners Geniestreich.

Baumgarten projiziert diesen Blick in die Vergangenheit in eine imaginäre Zukunft des Jahres 2073. Joep von Lieshout hat ihm dafür eine gut bespielbare Kiste auf die Drehbühne gesetzt. Stefan Bischhoff steuert atmosphärisch aufgeladene Videos, und Hauschka und seine Musiker eine spannungsgeladen »mitspielende« Bühnenmusik bei. Dabei bleibt die Geschichte stets erkennbar. Auch hier hat ein autoritärer Vater das Sagen, führt Frau Mary das Regiment über die Frauen, will Senta mit aller Macht ausbrechen und ergreift die Chance, die der nihilistische Holländer ihr dazu bietet.

Bei Baumgarten ist Daland (Aljoscha Stadelmann) der rauschebärtige Anführer eines sektenartigen »Volksstaates«, bei dem der puritanische Lebenswandel ebenso hoch im Kurs steht wie die Reinheit der weißen Rasse. Jedenfalls wirken die uniformierten Jungs, die er für seine Burenkolonie (neben einer Burka für die Tochter) mitbringt, auffällig blond und blauäugig. Es ist folgerichtig, dass die Ausbruchskandidatin Senta (Anne Müller) mit brutaler Sekten-Gewalt auf Linie gebracht wird. Der Elektroschocker aus dem Viehstall jedenfalls wirkt so stark, dass sie am Ende im Rollstuhl sitzt und rein gar nichts mehr sagen kann. Auch Erik (Paul Herwig) geistert wie ein Nachwuchsprophet herum. Der kann freilich weder mit alter Magie noch neuester Philosophie bei Senta (und auch sonst) wirklich landen. Und der Holländer (mit dem der wandlungsfähige Götz Schubert seine herausragende Stellungen im neu zusammengestellten Ensemble unterstreicht) fasziniert als Wiedergänger Mephistos mit Nosferatus berühmten Schattenspielen ebenso perfekt wie mit der Gangart von Spiderman.

Den Eisernen Vorhang, der im Schauspielhaus verrückt gespielt hatte, den braucht Baumgarten für dieses Theaterprojekt-Pendant zu seinem Opern-Holländer in Bremen gar nicht. Am Ende wird die Bühnenkiste geschlossen. »Klappe zu, Affe tot« sozusagen. So ganz tot sind sie aber doch nicht, denn man sieht Senta und den Holländer als Videoprojektion in den blutrot gefärbten Himmel entschwinden. Damit greift er dann doch das Erlösungsmotiv von Richard Wagners Musik und dessen finale Szenenanweisung auf. Allerdings als bittere Pointe eines herausfordernden Einhundertminuten-Theaterabends.

Nächste Vorstellung: 14.2.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.