Urlaub von Olympia? Am besten in Sotschi

Die Bewohner der Olympiastadt nehmen die Winterspiele eher gelassen

  • Oliver Händler, Sotschi
  • Lesedauer: 4 Min.
Das milde Wetter an der Schwarzmeerküste lockt die Bewohner Sotschis eher an den Strand als in die Olympiastadien. Dabei ist im Rest des Landes die Begeisterung für die Winterspiele ungebrochen groß.

»Ich bin Eishockeyfan«, sagt Dmitri Schujkow, und doch wirft er keinen Blick auf die Riesenleinwand 50 Meter hinter ihm. Dabei wird dort gerade das spannendste Spiel der olympischen Vorrunde zwischen den russischen Männern und ihren Erzfeinden aus den USA übertragen. Dmitri geht nicht auf dieses Fanfest im Hafen der Olympiastadt, das hier »Sochi Live Site« heißt. Lieber sitzt er gemütlich im Restaurant »Ris« und genießt seine Sushi-Platte. »Ich arbeite jeden Tag an der Schanzenanlage in Krasnaja Poljana. Heute habe ich frei«, sagt er. »Außerdem besucht mich meine Freundin Suscha zum ersten Mal hier. Da will ich ihr ein bisschen die Stadt zeigen.« Urlaub von Olympia - dafür scheint ausgerechnet die Stadt Sotschi der geeignetste Ort zu sein.

Während im Olympiapark des Vororts Adler und im Bergdorf Krasnaja Poljana die Massen die ersten Olympischen Winterspiele in Russland zelebrieren, ist davon in Sotschi nicht viel zu sehen. Nicht einmal, wenn die Nationalhelden der Sbornaja an einem Samstagnachmittag spielen. Das Gelände mit zwei Leinwänden bietet Platz für 2000 Menschen. »Abends, wenn hier Konzerte stattfinden, ist der Platz voll«, sagt die Frau hinter dem Informationsschalter. »Warum jetzt nicht so viel los ist, kann ich mir allerdings auch nicht erklären.«

Es kommt sogar noch schlimmer. Nach dem ersten Drittel steht es 0:0, und die Hälfte der höchstens 300 Menschen verlässt die Fanmeile. Sie haben ihre Coca-Cola-Fähnchen abgeholt und überteuerte Schaschliki gegessen. Sonst ist nicht viel los, und das Wetter einfach zu gut, um drei Stunden nur rumzustehen und anderen Leuten beim Sport zuzusehen, auch wenn der richtig gut ist. In der Pause wird noch einmal der Doppelsieg der russischen Shorttracker gezeigt. Nicht mal Applaus gibt es hier dafür.

Ganz anders sieht es im Olympiapark aus. Der war am Samstag ausverkauft. 200 Rubel sind für den Eintritt zu berappen, umgerechnet knapp fünf Euro. Wohlgemerkt nur, um auch hier auf Leinwände zu starren und abends noch den Medaillenzeremonien beizuwohnen. Das Eishockeyspiel im Bolschoi-Eispalast ist schon seit Monaten ausverkauft, auch Journalisten kommen nur mit Extraticket rein. Hier herrscht echte Olympiabegeisterung, die sogar noch gesteigert wird, als fünf Minuten vor Schluss das vermeintliche Siegtor der Russen fällt, doch es zählt nicht. Die Partie wird also doch im Penaltyschießen entschieden, unter Pfiffen gewinnen die US-Amerikaner.

Auf dem Fanfest in Sotschi bekommt davon kaum noch jemand etwas mit. Die Sonne geht langsam über dem Schwarzen Meer unter, dieses Schauspiel schauen sich die Leute lieber auf dem Steinstrand oder den Molen an. Nur die Angler, die hier sonst auf großen Fang hoffen, sind verschwunden. Die Olympiatouristen haben sie für gut zwei Wochen vertrieben.

In Russland kennt die Olympiabegeisterung an sich kaum Grenzen in diesen Tagen. Das russische Fernsehen hatte schon an Tag eins der Wettkämpfe höhere Einschaltquoten vermelden können als an jedem einzelnen Tag der Spiele von Vancouver 2010. Die meisten schauten beim Biathlon in die Röhre: 10,9 Millionen Russen sahen, wie Olga Wiluchina Silber im Sprint der Frauen gewann.

Das tat sie bei drei Grad Celsius im Laura-Biathlonstadion. Gut 70 Kilometer den Berg hinab zeigt das Thermometer nun 20 Grad mehr an. Da fällt es schwer, an Skilaufen oder Eishockey zu denken. Die Menschen laufen lieber die Promenade auf und ab. Auch Dmitri und Suscha. »Ich will endlich mal ein bisschen shoppen gehen«, sagt die junge Frau, die im 400 Kilometer entfernten Stawropol Journalistik studiert. »Da geht das nicht, da gibt es nicht so schöne Sachen wie hier.«

Stawropol hat ebenso wie Sotschi gut 350 000 Einwohner, doch schicke Kleider gibt es nur hier in Sotschi, am Ort, wo die Reichen und Schönen Russlands Urlaub machen. Wenn auch nicht gerade auf der Promenade. Hier reiht sich Imbiss- an Schießbude, Schmuck- an Souvenirladen. Gefolgt von Imbiss- und Schießbude, Schmuck- und Souvenirladen. Die Auswahl ist überall dieselbe, doch die Läden sind voll. Der Renner sind Hase, Leopard und Bär, die Maskottchen der Spiele. Suscha kauft sich einen Hasen. Ein bisschen Olympiafieber gibts also doch in Sotschi.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.