Blutige Krawalle in Kiew

Sitz der Regierungspartei gestürmt, Stadtverwaltung besetzt / Rechter Sektor mobilisiert

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Ende verkündete die Regierung ein Ultimatum. Es blieben zwei Stunden, um in Kiew die Gewalt zu stoppen. Zuvor waren die Ereignisse außer Kontrolle geraten und blutig eskaliert.

Bei den Ausschreitungen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften in der Ukraine waren bis zur Verhängung des Ultimatums offenbar bereits mehrere Tote zu beklagen. Nach Angaben von Oppositionsärzten sollen drei Regierungsgegner an Schussverletzungen gestorben sein. Der Abgeordnete Oleg Zarew informierte über den Tod zweier Mitarbeiter beim Sturm der Parteizentrale der regierenden Partei der Regionen. Er forderte gegenüber der Agentur UNIAN die gewaltsame Räumung des Unabhängigkeitsplatzes Maidan. Verletzt wurden bis dahin mindestens 150 Demonstranten und 37 Polizisten.

Brandsätze flogen, Türen wurden eingetreten, Rauchgranaten nahmen die Sicht. Mit Knüppeln bewaffnete Angreifer stürmten zu Hunderten im Zentrum von Kiew die Zentrale der Partei des Präsidenten Viktor Janukowitsch. Das war ein trauriger Höhepunkt des Ausbruchs der brutalen Gewalt in der ukrainischen Hauptstadt. Ausgerechnet am Tag nach dem Inkrafttreten des Amnestiegesetzes, der Freilassung von Demonstranten und der Räumung mehrerer Barrikaden flogen wieder Steine auf Polizisten. Die Ordnungskräfte setzten Gummigeschosse, Blendgranaten und Tränengas ein.

Einen Protest der Armeeführung und die Androhung »adäquater Maßnahmen« provozierte die Besetzung des »Hauses der Offiziere« durch radikale Demonstranten. Erneut besetzt wurde am Nachmittag das erst am Sonntag geräumte Gebäude der Kiewer Stadtverwaltung. Dort brach ein Brand aus. Vor dem Gebäude des ukrainischen Parlaments, der Obersten Rada, waren zuvor auf die absperrenden Polizisten Pflastersteine geworfen und Fahrzeuge in Brand gesetzt worden. AFP-Reporter berichteten von Angreifern, die einen Lastkraftwagen in die Absperrkette lenkten.

Abgeordnete von Oppositionsfraktionen hatten am Morgen das Parlament erst einmal lahmgelegt. Dutzende Politiker belagerten das Präsidium, weil Parlamentschef Wladimir Rybak nach ergebnislosen Verhandlungen einen Gesetzentwurf über die Rückkehr zur Verfassung von 2004 nicht auf die Tagesordnung setzte. Diese Verfassung gewährte dem Präsidenten weniger, Parlament und Regierung mehr Vollmachten.

Einen angeblich »friedlichen Angriff« von Tausenden Demonstranten auf das Parlament hatten der Fraktionschef der oppositionellen Vaterlandspartei, Arseni Jazenjuk, und der Vorsitzende der rechtsextremen Freiheitspartei, Oleg Tjagnibok, angeführt. Dieser erklärte, die »Macht« sei nicht in der Lage, die Situation in der Gesellschaft richtig einzuschätzen. Der Führer des »Rechten Sektors« paramilitärischer Extremisten, Dmitri Jarosch, habe alle Abteilungen in Kiew und den Regionen in »volle Bereitschaft«, versetzt, hieß es.

Moskau nahm den Westen für die Eskalation in Verantwortung. Was in Kiew geschehe, sei »das direkte Ergebnis einer Politik der Duldung« gegenüber »radikalen Kräften« der Opposition, hieß es in einer Erklärung. Der Westen hätte »die Augen vor den aggressiven Handlungen verschlossen« und damit zu »eskalierenden Provokationen« ermutigt».

Die Oppositionspolitiker Jazenjuk und Vitali Klitschko hatten am Montag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Lage in der Ukraine besprochen. Sie fordern vom Westen Sanktionen gegen die Führung um Janukowitsch. Als finanzielle Unterstützung sind Kredite des IWF und europäischer Institute als «makroökonomische Hilfe» in Höhe von 610 Millionen Euro im Gespräch. Moskau hingegen kündigte eine weitere Tranche von zwei Milliarden seiner 15 Milliarden Dollar bereits für diese Woche an. Ende Dezember wurden bereits drei Milliarden Dollar gezahlt.

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