Einfach mal Klappe halten

Oliver Händler ist etwas erschlagen von Kolleginnenfragen

  • Lesedauer: 2 Min.

»Und wie gefällt Dir Sotschi«, fragt mich Julia, wie schon so viele Russen vor ihr. Das liegt den Menschen hier am Herzen. Auch Julia, Swetlana und Natalja. Alle drei berichten aus dem Biathlonstadion Laura für den russischen Fernsehsender »Pjerwuj Kanal«. Swetlana steht als Moderatorin vor der Kamera, Julia und Natalja als Produzenten dahinter.

Kritische Distanz zu den Spielen von Sotschi ist den Journalistinnen jedenfalls fremd. »Warum ist Euch so wichtig, wie ich darüber denke«, antworte ich beim gemeinsamen Abendessen mit einer Gegenfrage. »Weil wir beim Staatsfernsehen arbeiten«, sagt Julia ganz selbstverständlich. Sie identifiziert sich mit ihrem Arbeitgeber, mit Russland, mit Olympia. Die Spiele müssen einfach gut laufen. »Tun sie ja auch«, beruhige ich.

»Und wie fandest Du die Eröffnungsfeier? Die war doch so schön.« - »Naja, irgendwie russisch«, meine ich. Damit kann Julia nichts anfangen. Ich erkläre, dass mir Überraschungen fehlten, der Witz, die Selbstironie, wie ich sie in London erlebt hatte. Sie sieht beleidigt aus. »Aber die Tänze waren trotzdem sehr schön«, versuche ich die Stimmung am Tisch zu retten.

Und die Zuschauer? Die seien doch toll, gibt mir Natalja die nächste Vorlage zum Lob. Stimmt, aber leider nur bei den russischen Athleten, sage ich. Wenn die keine Medaille holen, sind bei der Siegerehrung kaum noch Fans im Stadion. »Auch das fand ich in London besser«, sage ich und bereue es sofort, da ich Nataljas enttäuschten Blick sehe. Einfach mal Klappe halten, wäre hier deutlich angebrachter.

Oh Mann, wie komme ich aus der Nummer nur wieder raus? Es hätte so ein schöner Abend werden können, und ich bin nur am Differenzieren. »Es ist echt toll, was ihr in nur sieben Jahren alles auf die Beine gestellt habt«, sage ich. Das hilft nur wenig, doch zum Glück kommt nun das Essen.

Später reden wir nur noch übers Kochen, das Meer und die Familie. Alles unverfängliche Themen. Jeder zeigt stolz die Handyfotos von den Kindern herum, und der Abend wird doch noch ganz lustig. Beim Abschied drückt mir Julia sogar noch ein Küsschen auf die Wange. Wirklich herzlich und nett, diese Russen. Das hätte ich ihnen von Anfang an sagen sollen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -