Zeichen drohender Spaltung
Vor dem Hintergrund der Schlacht um die Macht zeigen sich die tiefen Risse innerhalb der Ukraine
Die ganze Nacht zum Freitag hatten Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein polnischer Amtskollege Radosław Sikorski mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch über eine Lösung der Krise in der Ukraine verhandelt. Mit am Verhandlungstisch saß auch Wladimir Lukin, der Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten.
»Wir haben eine wilde Nacht verbracht. Darüber könnte man einen Kinofilm drehen.« Das war alles, was Lukin am Freitagmorgen Journalisten über die Verhandlungen verriet. Lukin hat Erfahrungen auf dem internationalen Parkett. Von 1992 bis 1994 war er Botschafter Russlands in den USA. Die Kreml-kritische Moskauer Zeitung »Kommersant« kommentierte am Freitag, der Westen habe »auf dem Höhepunkt der ukrainischen Krise seine Autorität in die Waagschale geworfen, indem er versucht, den Ausgang der Auseinandersetzung zugunsten der Opposition zu wenden.« Die USA und die EU hätten die Ukraine vor die Wahl gestellt, »vorgezogene Präsidentschaftswahlen oder internationale Isolation wie bei Belarus«.
Am Freitagmittag war dann klar, dass die Verhandlungen erfolgreich waren. Der ukrainische Präsident teilte auf seiner Website mit, dass er zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen bereit sei. Als Frist für die Wahlen wurde dann der dezember genannt. Außerdem ist Janukowitsch bereit, innerhalb von zehn Tagen eine Regierung des »nationalen Vertrauens« zu bilden. Nach einem Treffen von Steinmeier und Sikorski mit dem Rat des Maidan, einem Gremium von 30 Personen, kam dann die Meldung, der Maidan-Rat habe dem Vertrag mit Janukowitsch zugestimmt. Auf dem Maidan gab es jedoch Sprechchöre, die den sofortigen Rücktritt des Präsidenten forderten.
Ende Januar war ein Versuch von Janukowitsch, die Opposition in Regierungsverantwortung zu locken, durch Proteste des Maidan gescheitert. Als der Fraktionsführer der oppositionellen Vaterlandspartei, Arseni Jazenjuk, am 25. Januar andeutete, er sei bereit, wie von Janukowitsch vorgeschlagen, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen, wurde er ausgepfiffen.
Alle drei Oppositionsführer - Arseni Jazenjuk, Vitali Klitschko und der Rechtsradikale Oleg Tjagnibok - sind für den Vertrag mit Janukowitsch. Doch vom »Rechten Sektor« - einem Bündnis von rechtsradikalen und nationalistischen Organisationen und Fußball-Fans - wird der Vertrag wohl kaum akzeptiert werden.
Der Rechte Sektor hatte bereits am Dienstagmittag, als es vor dem ukrainischen Parlament zu Straßenschlachten kam und sieben Polizisten durch Schüsse getötet wurden, über das Netzwerk vkontakte.ru dazu aufgerufen, dass »alle Personen, die Waffen haben«, in die Innenstadt kommen sollen, »um die Menschen« vor dem Regime »zu schützen«.
Seit Dienstag werden nicht nur Demonstranten durch Schusswaffen getötet, sondern auch Polizisten. So berichtete der »Kommersant«, dass am Donnerstag um 11.10 Uhr 20 Polizisten auf dem Maidan von Scharfschützen verletzt wurden.
In Kiew hatte das Innenministerium am Donnerstagnachmittag erstmals offiziell Waffen an die Polizisten ausgegeben. Doch während der Straßenschlacht vor dem Parlament am Dienstag veröffentlichte das Innenministerium Fotos, auf denen Demonstranten mit Pistolen und Gewehren auf ihre Gegner zielen.
Dass sich die Spaltung der Ukraine in einen Ost- und Südteil auf der einen und einen Westteil auf der anderen Seite vertieft, ist angesichts der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen nicht verwunderlich. Der russische Fernsehkanal Rossija 1 zeigte Videos von Exzessen in der Westukraine. Die Gewalt des Mobs richtet sich auch gegen Büros der Kommunistischen Partei und der Partei der Regionen. Mehrere Lenin-Denkmäler in der Westukraine wurden umgestürzt. In der Ostukraine erklärten dagegen mehrere Gebietsverwalter und Bürgermeister, sie würden den »Banderowzi« (Anhänger des westukrainischen Nationalisten Stepan Bandera, 1909-1959) den Zutritt zu ihrer Region »mit allen Mitteln« verweigern. Auf der Krim, die Chruschtschow 1954 der Ukraine »geschenkt« hatte, werden die Stimmen von Politikern lauter, die bei einer Zuspitzung einen Wiederanschluss der Halbinsel an Russland fordern.
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