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Fernduell der Narzisse
Mangelndes Medieninteresse an Thilo Sarrazins neuem Buch über den angeblichen Tugendterror
Gut dreieinhalb Jahre ist es her, da erschien das »Erstlingswerk« des Buchautors Thilo Sarrazin »Deutschland schafft sich ab«. Innerhalb von wenigen Tagen wurde das Buch, in dem er die These vertrat, dass viele Zuwanderer nach Deutschland im Schnitt weniger intelligent seien und sich sozial nicht integrieren wollten, zu einem Bestseller, verkaufte sich millionenfach und machte seinen Autor zum Euro-Millionär. Sein zweites Buch »Europa braucht den Euro nicht«, Anfang 2012 veröffentlicht und mit Vorabdrucken im »Focus« und »Stern« beworben, war vergleichsweise ein Ladenhüter. Das Publikum interessierte sich nicht wirklich für Sarrazins Abrechnung mit der europäischen Gemeinschaftswährung und seinem Plädoyer für den Ausstieg Deutschlands aus derselben.
Anfang der Woche hat der ehemalige SPD-Politiker und Ex-Bundesbankvorstand sein drittes Buch veröffentlicht. »Der neue Tugendterror« ist eigentlich wie geschaffen für eine kontroverse Debatte. Sarrazin beschwert sich darin über den seiner Meinung nach wahnhaften Tugendfuror, mit dem die Verfechter der Political Correctness Denk- und Sprachverbote im öffentlichen Diskurs propagierten und mit Hilfe eines angeblich linkslastigen Medienkartells durchsetzten.
Sarrazins Verlag, die Deutsche Verlags Anstalt (DVA), hatte vorab alles richtig gemacht, um dem Buch die nötige publizistische Aufmerksamkeit zu garantieren. Bruchstücke des Inhalts wurden vorab in der »Bild«-Zeitung kolportiert, Rezensenten anderer Medien mussten sich dagegen schriftlich verpflichten, bis zum offiziellen Erscheinungstermin am 24. Februar keine Information und kein Zitat aus dem Buch öffentlich zu machen.
Die Spannung war also da, allein die Medien verweigerten sich der Promotion. Die meisten größeren Zeitungen, wie etwa die FAZ, beschränkten sich auf kurze Reaktionen, der Berliner »Tagesspiegel« erteilte dem Autor die Höchststrafe: Über die Buchvorstellung am Montag in Berlin wurde im Lokalteil berichtet. Auch im Fernsehen kommt Sarrazin eher nicht vor. Auf n-tv durfte er sich am Dienstag zur nächtlichen Stunde zwar mit dem »taz«-Redakteur Daniel Bax duellieren, besondere Reichweite erzielte die Sendung allerdings nicht, und Sandra Maischberger ließ das Thema ihrer Sendung (ebenfalls am Dienstag) austauschen, so dass Thilo Sarrazin als Talkgast bei Maischberger überflüssig und daher ausgeladen wurde.
Was haben der Autor und der Verlag falsch gemacht? Sie haben zwei der grundlegenden Bedingungen der Medienwelt missachtet: Aufmerksamkeit und Relevanz. Unter dem Gesichtspunkt der Aufmerksamkeitsökonomie bringt das neue Buch von Sarrazin nichts Neues. Weitgehend wiederholt er seine altbekannte Kritik an seinen Gegnern und Kritikern. Hätte er angekündigt, die SPD zu verlassen und zur »Alternative für Deutschland« (AfD) zu wechseln, ja dann wäre das mehr als eine Schlagzeile wert gewesen. Aufmerksamkeit wäre ihm ebenfalls sicher gewesen, hätte er seinen ressentimentgeladenen Ritt gegen Einwanderung und Islam aus seinem ersten Buch forciert und noch weiter nach rechts getrieben.
Hat er aber nicht. Stattdessen nimmt er sich die Verfechter eines sehr eng ausgelegten Begriffs der Political Correctness vor. Deren Feldzug gegen Wörter in Kinderbüchern, gegen mit Schuhcreme schwarz geschminkte weiße Schauspieler etc. pp. mag zwar an jakobinische Bilderstürmerei erinnern, bedrohlich für die Meinungsfreiheit, wie Sarrazin behauptet, ist das alles aber nicht. Im Kern kann sogar Konsens hergestellt werden darüber, dass es nachvollziehbar ist, dass sich Menschen mit schwarzer Hautfarbe bei Begriffen wie »Negerprinzessin« diskriminiert fühlen. Die Vertreter der radikalen politisch korrekten Sprache erweisen ihrem ernsthaften Anliegen allerdings einen Bärendienst, indem sie jegliche Kritik als lautstarken Aufschrei und persönlichen Angriff vortragen, der die so getroffenen zwangsläufig beschämen und sie gegen die Kritik taub machen muss.
Es ist dies aber eine extreme Außenseiterposition, wie der Medienwissenschaftler Hans-Matthias Kepplinger, von dem Sarrazin sein neues Buch am Montag vorstellen ließ, betont. Der Autor unterscheide nicht zwischen dieser Meinung und in der Gesellschaft weitgehend akzeptierten Überzeugungen, kritisiert Kepplinger.
Relevant für die Mehrheit der Gesellschaft ist ein solcher Disput nicht. Das war bei »Deutschland schafft sich ab« anders. Sarrazin verlieh darin dem dumpfen Gefühl, dass der arabische Gemüsehändler, die mazedonische Jugendgruppe im Jugendhaus, das muslimische Gotteshaus im Wohnviertel eine Bedrohung darstellen, ein Ventil. Akademische Debatten um sogenannte N-Wörter, Gender-Mainstreaming, Unterstrich- und Sternchen-Geschlechtszuweisungen spielen für die Mehrheit allerdings im Alltag keine relevante Rolle. Warum also sollten die Medien über ein Fernduell zwischen dem Narziss Sarrazin mit anderen Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstruktur mehr als unbedingt notwendig berichten?
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