Die Welt steht schräg

Deutsche Oper Berlin: Der Choreograf Christian Spuck inszenierte »Fausts Verdammnis« von Hector Berlioz

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Welt ist schwarz, eine Scheibe und steht schräg. Jedenfalls sind die Bretter, die sie bedeuten, in der Deutschen Oper Berlin so angeordnet. Das praktische an solchen Drehscheiben ist immer, dass hinten unten die intimeren Szenen spielen können, Fausts Studierstube, Gretchens Schlafgemach, sogar Auerbachs Keller. Diese Spielorte gibt es in Hector Berlioz’ ansonsten freier musikalischer Aneignung des »Faust I« tatsächlich auch. Außerdem finden wir Faust auf einer Ebene in Ungarn, zu Hause in Norddeutschland, auf einer Wiese an der Elbe und schließlich geht es von einer Wälder- und Höhenlandschaft auf schwarzen Rossen rasant hinab in die Hölle. Der Himmel gehört Margarita. Die Bühne dreht und dreht.

Hector Berlioz wusste selbst nicht so recht, was sein 1846 mit mäßigem Erfolg konzertant uraufgeführtes Werk eigentlich war. Zuerst nannte er es »Opern-Sinfonie«, dann »dramatische Legende«. Jedenfalls sind der Interpretation dieses musikalisch grandiosen Werkes alle Wege geöffnet. Es funktioniert als konzertantes Oratorium ebenso gut wie als wildbewegte Oper, jüngst in Stuttgart von Andrea Moses inszeniert.

Diesmal entschied man sich für ein dekoratives Spektakel mit großen Tableaus und effektvoller Beleuchtung, geschmackvoll in Schwarz-Weiß gehalten. Das Orchester, rechts und links vor der Bühne hoch herausgefahren, steuerte ein goldiges Leuchten bei. Regie führte der Choreograf Christian Spuck, Ballettdirektor in Zürich. Wenig überraschend also sorgten Tänzer für Symbolkraft und Bewegung auf der Bühne und die Chöre formten sich mittels stilisierter Körpersprache zu mannigfaltigen wohlgeordneten Bildern. Das konnte ungemein schön aussehen, zum Beispiel, als der riesige Chor beim Osterhymnus die ganze Drehscheibe füllte und jeder Chorsänger ein Licht in der Hand hielt. Effektvoll, sogar lustig auch der Doppelchor der Soldaten und Studenten, bei dem zwei Musiken gnadenlos übereinander ablaufen.

Fast magisch das Schluss-Chorbild, das Berlioz’ ganzer Klang-Magie standhielt. Zuerst die kauderwelsch singenden Höllengeister in strengem Kreis - Basstuben dröhnen dem tobenden Orchester schaurig voran - dann die sphärisch tönenden himmlischen Heerscharen. Harfen und Flöten rauschen ätherisch zu den Engelsstimmen der Erlösung.

Andere Szenen missrieten, wie das vorhersehbare Burschenschafter-Gedränge in Auerbachs Keller oder die exerzierenden Nussknackersoldatchen beim »Ungarischen Marsch«. Berlioz wusste, dass dieser »Rákóczy-Marsch« eine Art ungarischer Marseillaise im Kampf gegen die Habsburger war. Bei einem Budapester Konzert mit eigenen Werken hatte er seine Wirkung erkannt. Er übernahm ihn in sein »Faust«-Werk und reißt damit schon in der ersten Szene die Weltenferne zwischen der warmen Leidenschaft der Menge und Fausts erkalteter Seele auf. Regisseur Spuck fiel dazu merkwürdigerweise eine getanzte Vergewaltigung ein.

Mit der Figur des Faust entfernt sich Berlioz am weitesten von Goethes Dichtung. Tatenlos und lebensuntüchtig gefällt sich Faust darin, nicht etwa nach Erkenntnis, sondern nach der schönsten Art des Seelen-Überdrusses und des leidenden Unverstandenseins zu suchen. Heiteres Landleben, politisches Engagement, Kneipenfrohsinn, Naturschwärmerei; Berlioz macht seiner Figur Angebote. Im elegischen Klageton weist Faust alles zurück. Diesen Ton beherrscht Klaus Florian Vogt, der die Titelpartie sang. Etwas mehr Gestaltungskraft, größere Variabilität in Stimmfarbe und vokaler Gestik hätte man sich allerdings gewünscht. Méphistophélès, Samuel Youn, hat wenig Mühe mit ihm. Er hat ihn von Anfang an erkannt und leitet ihn stimmlich souverän geradewegs in den Abgrund. Zwei knallharte Couplets machen es ihm unterhaltsamer. Margarita ist sein Geschöpf, ein zum Leben erwecktes trauriges Püppchen. Ihre beiden Lieder, der »König von Thule« mit einer Solo-Bratsche und »Gretchen am Spinnrad« mit Englischhorn sind zum Weinen schön. Man hätte Clémentine Margaines leuchtendem Mezzo und den beiden Solisten ewig lauschen können.

Donald Runnicles dirigierte eher unauffällig. Von Berlioz als dem Meister der Instrumentation, als dem großen Bahnbrecher und Zukunftsweiser, dem Sensationsmusiker des 19. Jahrhunderts, war wenig zu hören.

Eine mittlere Schlichtheit obsiegte, auf der Bühne und im Orchester.

Nächste Vorstellung: 27.2.

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