Quellenschutz statt Opferschutz

Die Bundesregierung verspricht, Konsequenzen aus der NSU-Mordserie zu ziehen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Lange nach der Veröffentlichung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses kündigte die Koalition nun einige Maßnahmen an. V-Leute sollen aber weiter einen besonderen Schutz genießen.

Im Sommer letzten Jahres legte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags 47 Empfehlungen vor. Als Konsequenz aus der rechten Mordserie sollten Justiz, Polizei und Verfassungsschutz reformiert werden. Passiert ist seitdem wenig. Deswegen forderten in der vergangenen Woche alle Bundestagsfraktionen gemeinsam eine schnelle Umsetzung der Ausschussempfehlungen.

Um den Vorwurf der Tatenlosigkeit zu entkräften, beschloss das Kabinett nun einen Bericht über den »Umsetzungsstand der Empfehlungen des Untersuchungsausschusses«. Vor Journalisten sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU), künftig müsse der Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern verbessert werden. Ein neues Verfassungsschutzgesetz wolle er im Konsens mit den Ländern ausarbeiten.

Es seien aber auch »schon Lehren gezogen worden«, behauptete der CDU-Politiker. Dabei bezog er sich auch auf das kurz nach dem Auffliegen der NSU-Terroristen im Dezember 2011 eröffnete Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus. Dort tauschen sich Polizei und Geheimdienst von Bund und Ländern aus. Inzwischen ist die Rechtsterrorismusabwehr in dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum integriert, in dem sich Bundes- und Landesbehörden mit »Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus und Spionage« beschäftigen. Bei der Gründung des Zentrums Ende 2012 wies die Grünen-Politikerin Renate Künast darauf hin, dass angesichts der akuten rechten Terrorbedrohung ein Terrorabwehrzentrum, das sich mit »Linksextremismus« beschäftigt, »skurril« anmute.

Um den Anschein zu erwecken, auch zivilgesellschaftlich gegen Neonazis vorzugehen, verwies de Maizière auf das Programm »Zusammenhalt durch Teilhabe« seines Ministeriums, das seit 2010 existiert. Das Programm unterstützt Vereine und Initiativen, um »extremistischen und verfassungsfeindlichen Strömungen entgegenzuwirken«.

Kern des Problems sind indes die V-Leute in der rechten Szene, auf die die Innenministerien nicht komplett verzichten wollen. Der Quellenschutz müsse eingehalten werden, wenn er den V-Leuten zugesichert wurde, so de Maizière. Mit diesen Zusagen müsse man aber vorsichtig sein. Bei der Aufarbeitung der NSU-Morde wurde den Sicherheitsbehörden vorgeworfen, sie hätten dem Schutz von V-Leuten Vorrang vor der Aufklärung gegeben. Wenn es nach de Maizière geht, wird sich an diesem Missstand also nichts ändern. Aus Sicht der LINKEN sind die Verfassungsschutzämter nicht reformierbar und sollten als Geheimdienste aufgelöst werden. Zudem fordert die LINKE ebenso wie einige Grünen-Politiker den Verzicht auf V-Leute in Polizei und Nachrichtendiensten. »V-Leute der Sicherheitsbehörden sind keine netten Informanten, sondern vom Staat gekaufte Spitzel und bezahlte Täter«, sagte die LINKE-Politikerin Petra Pau.

Auch im Bereich der Justiz soll es Veränderungen geben. Justizminister Heiko Maas (SPD) kündigte eine Stärkung des Generalbundesanwalts an. Künftig soll dieser bei schweren Staatsschutzdelikten die Zuständigkeit an sich ziehen können, von Landesbehörden über relevante Fälle informiert und bei Streitigkeiten zwischen Behörden über die Zuständigkeit entscheiden können. Bis Ende März will Maas zudem einen Gesetzesentwurf vorlegen, wonach fremdenfeindliche Motive bei der gerichtlichen Aufarbeitung von Straftaten stärker berücksichtigt werden.

Maas und de Maizière sprachen sich außerdem für die Einstellung von mehr Migranten bei Polizei und Justiz aus. Ob dies umgesetzt wird, ist aber fraglich. Die Einführung einer Quote lehnte de Maizière ab.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.