»Sie fielen einfach zu Boden«
Das Blutbad von Kunming - Zeichen der Radikalisierung uigurischer Separatisten?
Gegen 20 Uhr Ortszeit nahm die Tragödie in der südwestchinesischen Provinzhauptstadt Kunming ihren Ausgang. Yang Haifei aus Kunming schilderte der Nachrichtenagentur Xinhua, er habe gerade eine Fahrkarte gekauft, als eine Gruppe schwarz gekleideter Leute aufgetaucht sei. »Ich sah einen Menschen mit einem langen Messer auf mich zukommen. Ich rannte mit anderen davon.« Wer nicht schnell genug war, sei schwer verletzt worden. »Sie fielen einfach zu Boden.« Er selbst sei an Brust und Rücken getroffen worden.
Die 19-jährige Studentin Liu Chen aus Wuhan wollte mit ihrer Freundin Karten für die Fahrt in die Touristenstadt Lijiang kaufen. »Zuerst dachte ich, dass sich nur Leute streiten, aber dann sah ich Blut und hörte Schreie.« Der Bahnhof in Kunming zählt zu den größten in China und ist die Hauptdrehscheibe der Provinz Yunnan, die an Myanmar, Laos und Vietnam grenzt und ein beliebtes Touristenziel ist.
Chinas Regierung sieht uigurische Separatisten aus dem weit entfernten Xinjiang am Werk. Sollte sich ihr Vorwurf bestätigen, wäre das Blutbad eine deutliche Eskalation der Gewalt - eine Radikalisierung uigurischer Kräfte. Zunächst bekannte sich allerdings niemand zu dem Anschlag.
Das muslimische Volk der Uiguren ist im Nordwesten Chinas, in der »Uigurischen Autonomen Region Xinjiang« zu Hause. Seit sich in diesem Gebiet immer mehr Han-Chinesen angesiedelt haben (zehn Millionen Uiguren stehen nach offiziellen Angaben 8,5 Millionen ethnische Chinesen gegenüber), sind die Spannungen zwischen den Volksgruppen gewachsen. Viele Uiguren beklagen eine »chinesische Fremdherrschaft« und sehen sich politisch, religiös und kulturell unterdrückt. Umgekehrt hegen die Chinesen wenig Sympathie für die kulturell so anderen Uiguren. Die Regierung in Peking macht uigurische Separatisten für Terroranschläge mit vielen Toten verantwortlich. Um Peking nach den Anschlägen am 11. September 2001 in New York im Kampf gegen den Terror an Bord zu holen, hatten auch die USA eine kleine, damals wenig bekannte »Ostturkestanische Islamische Bewegung« (ETIM) als Terrorgruppe anerkannt.
Tatsächlich rutschen Zusammenstöße in Xinjiang angesichts der Spannungen häufig in tödliche Auseinandersetzungen ab - weil Uiguren danach Ämter oder Polizeistationen attackieren oder weil chinesische Sicherheitskräfte das Feuer eröffnen. Die Zahl solcher Zwischenfälle hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Bei blutigen Zusammenstößen zwischen Uiguren und Han-Chinesen 2009 waren in Xinjiang rund 200 Menschen ums Leben gekommen.
Gewalt außerhalb der autonomen Region war bisher selten. Die chinesischen Behörden sahen allerdings auch uigurische Terroristen am Werk, als im Oktober vergangenen Jahres ein Auto am Eingang zur Verbotenen Stadt in Peking in eine Menschenmenge fuhr und in Flammen aufging. Drei Insassen - Mitglieder einer Familie aus Xinjiang - sowie zwei Touristen starben.
Xinhua schrieb nach dem Blutbad in Kunming von einem »Wandel in der Angriffsstrategie« der Separatisten, die sonst Symbole der Regierung wie Polizeistationen oder Ämter angegriffen hätten, aber diesmal auf einfache Bürger; Reisende und Wanderarbeiter, losgegangen seien. »Jeder, der Verständnis für die Terroristen hegt und zeigt, sie als unterdrückt oder schwach bezeichnet, ermutigt solche Angriffe und hilft bei der Verübung von Verbrechen«, warnte die Agentur. Ein Sprecher der Exil-Uiguren argwöhnte indessen, dass das Verbrechen als Vorwand für neuerliche »Unterdrückung und Diskriminierung« seines Volkes benutzt werden könnte. dpa/nd
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