Demokraten des Auslands

Leo Fischer war Chefredakteur des Nachrichtenmagazins »Titanic«. An dieser Stelle kümmert er sich 
vierzehntäglich um den 
liegen gelassenen Politikmüll und dessen sachgemäße Entsorgung

Alles ist schöner in der Fremde: die Menschen, die Sonnenuntergänge und auch die Demokratie. Sie wird, da sie in Deutschland ihre höchste Entwicklungsstufe schon erreicht hat, am liebsten verteidigt, wenn sie auswärts stattfindet. In China hockt der Ai Weiwei und ärgert sich darüber, dass er so viele Steuern zahlen muss? Solidarisch verschmäht der deutsche Demokrat im Supermarkt die Sojasauce. Keine Frühlingszwiebeln ohne politischen Frühling! Besonders schön, ja direkt idyllisch war die Demokratie auf dem Maidan, als die Menschen entschlossen unsere westlichen Werte verteidigten: »Die Menschen kämpfen und arbeiten hart, damit die Proteste weitergehen. Auf dem Maidan wird Tischtennis gespielt, eine Bibliothek wurde gegründet, Menschen heiraten, das Chaos organisiert sich« - so begeisterte sich die Anarchistengazette FAZ über die Proteste in Kiew. Die Berichterstattung derselben Zeitung zu den Frankfurter Blockupy-Demos 2013 hingegen bestand aus zwei hysterischen Tanten, die nicht aus noch ein wussten vor Gram darüber, dass auf ihrer Lieblings-Shoppingmeile Schaufenster kaputtgingen - hier waren »Kriminelle« und »Chaoten« am Werk. Protestierende Demokraten gibt es nämlich immer nur im Ausland, nie in Deutschland.

Weil es im Zuge der Bekämpfung der Blockupy-Kriminalität letztes Jahr zu unschönen Szenen kam, bemüht sich die Frankfurter Polizei nun um einen Imagewandel. Sie hat neuerdings einen Twitter-Account und 150 »Kommunikatoren«, die in simulierten Protestszenarien das Deeskalieren lernen, wie der HR berichtet: »›Eins, zwei, drei, gebt die Tiere frei‹ skandiert eine Gruppe von Tierrechtlern im Innenhof des Frankfurter Polizeipräsidiums. Gespielt werden sie von Polizeibeamten ... Einige Aktivisten haben sich vermummt - eine Straftat nach dem Versammlungsgesetz. Bis auf einen lassen sich alle von den Kommunikatoren dazu bewegen, ihre Gesichter wieder zu zeigen. Der Uneinsichtige wird festgenommen, die ganze Gruppe angesprochen, ›um Solidarisierungseffekte zu verhindern‹.« Die Solidarität der Gruppe wird ersetzt durch Solidarität mit der Polizei - Ziel ist es, so FAZ, »eine gute Beziehung zu den Demonstranten« aufzubauen, »die sich in Konfliktsituationen positiv auswirken könne. Es gebe inzwischen ›Vocal Coaches‹, die den Beamten beibrächten, wie sie allein durch ihre Stimme deeskalieren könnten.«

Man kann Putin und Janukowitsch viele Gemeinheiten nachsagen; der Einsatz von grausamen Waffen wie Vocal Coaches und Beziehungspolizisten gehörten aber nicht dazu. Denn eine Staatsmacht, die kuscheln will, ist die bösartigste von allen.

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