Hinter verschlossenen Türen
Nichtregierungsorganisationen zeigen die Wege des Lobbyismus in Brüssel auf
Um von der US-Handelskammer (American Chamber of Commerce) in Brüssel zur Generaldirektion Handel der EU-Kommission zu gelangen, muss man nur einmal die Straße überqueren: Das gesichtslose Gebäude mit Spiegelfassaden in der Rue de la Loi, in der die TTIP-Verhandlungsführer von europäischer Seite untergebracht sind, befindet sich schräg gegenüber dem US-Büro.
Die Aussage, dass die Wege in Brüssel kurz sind, bezieht sich nicht nur auf geografische Distanzen, sondern auch auf das, was von außen nicht ersichtlich ist: die Kontakte der am TTIP-Verhandlungsprozess Beteiligten zueinander, ihr Informationsaustausch in nicht-öffentlichen Runden und ihre Einflussnahme auf den Ausgang der Verhandlungen. Die American Chamber of Commerce gilt als einer der einflussreichsten Lobbyisten in Bezug auf das TTIP.
Gemeinsam führten der Verein LobbyControl und Corporate Europe Observatory (CEO), die sich für mehr Transparenz und Demokratie im Gesetzgebungsprozess stark machen, am Mittwoch Journalisten durch das EU-Viertel, um deutlich zu machen, wie und wo die Entscheidungsträger zusammenkommen und Gesetze mit weitreichenden Folgen für Millionen von Menschen aushandeln. Zwischen 15 000 und 25 000 Lobbyisten - so Schätzungen - arbeiten im Umfeld der EU-Institutionen. Rund 70 Prozent von ihnen als Konzernvertreter. Dieses Missverhältnis, so erklären es CEO und LobbyControl, spiegelt sich in den TTIP-Verhandlungen wieder: Bereits vor deren offiziellem Beginn im vergangenen Jahr waren Lobbyorganisationen wie Business Europe und ACEA (Automobilbranche) hinter verschlossenen Türen aktiv, wissen die CEO-Experten.
»Es ist vollkommen unklar, warum die Verhandlungen nicht transparent geführt werden können«, sagt Pia Eberhardt, CEO-Referentin für Handelspolitik. Bei der Welthandelsorganisation sei das üblich und auch der EU sei die Praxis nicht fremd. So werde bei Klimaverhandlungen mit offenen Karten gespielt.
Die EU-Kommission reagiert auf die Vorwürfe: Die Verhandlungspartner müssten in der Lage sein, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Weder »geheim« noch »undemokratisch« seien die Verhandlungen, wehrt sich die Kommission und beteuert, das Abkommen ziele nur darauf ab, Wachstum und Jobs zu schaffen. Als Reaktion auf Einwände durch die Bevölkerung hat die Brüsseler Behörde ein Beratungsgremium geschaffen, in dem Gewerkschaften und Verbrauchergruppen vertreten sind. »PR-Offensive« nennt Max Bank, EU-Campaigner bei LobbyControl, das.
Auch Eberhardt bestätigt: »Die PR der EU-Kommission ist deutlich besser geworden.« Am grundsätzlichen Problem ändere sich aber nichts: »Der Verhandlungstext ist nicht öffentlich zugänglich.« Auch das Beratergremium sei zur Geheimhaltung verpflichtet, so Max Bank. Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern würde, dafür sehe sie keine Anzeichen, so Eberhardt.
Während sie das sagt, steht sie vor einem weiteren unscheinbaren Gebäude im Brüsseler EU-Viertel: Rue Montoyer 21, einen Steinwurf vom Europaparlament entfernt. Firmen wie Philipp Morris und große Anwaltskanzleien wie Sidley Austin haben hier ihren Sitz. »Nicht nur die multinationalen Konzerne, auch die Anwälte, die für sie arbeiten, wenn es um Milliardenprozesse geht, sind die wahren Profiteure von TTIP.«
LobbyControl und CEO bieten ihnen weiter Paroli: Heute laden sie zu einer Kundgebung vor dem Charlemagne-Gebäude, in dem die Generaldirektion Handel sitzt. Derzeit ist unwahrscheinlich, dass das Freihandelskommen - wie ursprünglich geplant - 2015 zum Abschluss kommt.
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