»Fluglärm geht ins Ohr«
Volksinitiative fordert im Abgeordnetenhaus Nachtflugverbot / Senat lehnt ab
»Die Augen kann man schließen, die Ohren nicht«, sagte Hans Behrbohm. Und Fluglärm, besonders der nächtliche, »geht ins Ohr und bleibt im Kopf«, versuchte der HNO-Chefarzt an der Park-Klinik Weißensee gestern den Mitgliedern im Verkehrsausschuss des Parlaments zu erklären, warum Fluglärm krank macht und ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr nicht nur am künftigen Hauptstadtflughafen BER so wichtig ist.
Behrbohm ist Mitglied der Friedrichshagener Bürgerinitiative, die per Volksinitiative knapp 23 700 Unterschriften gesammelt hatte, um dieses Ziel zu erreichen. Ein Volksbegehren mit dieser Forderung war in Berlin gescheitert, im Gegensatz zu Brandenburg. Durch die Volksinitiative erreichten die Fluglärmgegner jetzt, dass sich das Parlament noch einmal mit ihrem Anliegen beschäftigen muss. Ziel ist, dass Berlin mit Brandenburg Verhandlungen aufnimmt, um für mehr Nachtruhe zu sorgen. Als Mindestforderungen verlangt die Initiative ein Startverbot zwischen 22 und 6 Uhr.
Dass Fluglärm die Gesundheit schädigt, zog im Ausschuss auch niemand in Zweifel. Behrbohm und der Arzt Henning Thole verwiesen auf neue Forschungen und Studien. Nachtflüge würden Weckreaktionen hervorrufen und die gesamte »Schlafarchitektur« zerstören. Folgen seien Tinnitus, Depressionen, Konzentrationsstörungen, Bluthochdruck, Herzinfarkte. Eine Studie für das Umfeld des Flughafens Frankfurt am Main prophezeit 23 000 zusätzliche Krankeits- und 3400 Todesfälle durch nächtlichen Fluglärm bis zum Jahr 2021. Thole zitierte Paragraf 8 der Berliner 'Verfassung: »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.« Wie viele Menschen krank werden dürften, sei eine unethische Frage, reagierte Thole auf die Argumentation des Senats, dass durch den BER ja weniger Menschen durch Fluglärm belastet würden als derzeit.
Aus Sicht der Anwohner sind Nachtflüge aber auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht nötig. Die Planungsziele mit 360 000 Flugbewegungen im Jahr am BER seien auch komplett ohne Nachtflug zwischen 22 und 6 Uhr möglich, rechnete Ralf Müller von der Friedrichshagener Bürgerinitiative vor. Auch Interkontinentalverkehr sei ohne Nachtflug möglich. Müller verwies darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss von 2011 Nachtflüge als nicht zwingend erforderlich für eine wirtschaftliche Betriebsführung eingeschätzt hatte. »Die Tür steht also weit offen«, appellierte Müller an die Abgeordneten, für Nachtruhe zu sorgen und dafür, dass »der Graben zwischen Berlin und Brandenburg« überbrückt wird.
Bei den Abgeordneten von Linkspartei, Piraten und Grünen rannte er damit offene Türen ein. Ein Nachtflugverbot sei der preiswerteste und effektivste Lärmschutz und schütze auch die Anwohner außerhalb der Einflugsschneise, so Harald Moritz von den Grünen. Der Verkehrsexperte der Linkspartei, Harald Wolf, forderte den Senat auf, sich im Bundesrat für ein bundesweites Nachtflugverbot einzusetzen. Dann entfalle auch das Argument, dass der BER dann nicht mehr konkurrenzfähig sei.
Der Senat allerdings zeigt sich von der Volksinitiative und den Protesten der Anwohner unbeeindruckt. Es gebe keinen Anlass, von den bisher geplanten Regelungen abzuweichen, sagte Senatskanzleichef Björn Böhning (SPD). Die wirtschaftlichen Auswirkungen wären immens. Dem Flughafen entgingen bei einem Verzicht Einnahmen in Höhe von 25 Millionen Euro im Jahr. Flughafen-Betriebsleiter Elmar Kleinert verwies auf ein Gutachten von 2007, wonach jährliche Einbußen sogar von 40 Millionen Euro und der Verlust mehrerer tausend Arbeitsplätze möglich seien. Das von Mitternacht bis 5 Uhr geplante Flugverbot werde der Senat auch in den Gesprächen mit Brandenburg nicht ausweiten.
Ob es einen Beschluss im Sinne der Volksinitiative gibt, wird sich am 2. und 10. April entscheiden, wenn sich das Parlament erneut mit dem Thema beschäftigt.
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