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»Ein Fest für mein Herz«
Dank Robert Cohen erschien der bewegende Briefwechsel von Olga Benario und Luíz Carlos Prestes nun auch auf Deutsch
Der in den USA lebende Schweizer Germanist und Schriftsteller Robert Cohen hat vor fünf Jahren mit dem Roman »Das Exil der frechen Frauen« Furore gemacht. Er erinnerte hier an Olga Benario (Prestes), Maria Osten und Ruth Rewald. Bei seinen Recherchen zum Buch wurde er darauf aufmerksam, dass in Brasilien in den Jahren 2000 bis 2003 der Briefwechsel von Luíz Carlos Prestes veröffentlicht worden ist, darunter auch dessen Korrespondenz mit seiner Frau Olga. Cohen hatte den glücklichen Einfall, diesen auch dem deutschen Publikum zugänglich zu machen.
Olga Benario, in einem jüdischen Elternhaus als Tochter eines sozialdemokratischen Rechtsanwalts geboren, war als junges Mädchen zum kommunistischen Jugendverband, KJVD, gestoßen. Entscheidend für ihr weiteres Leben wurde die Begegnung mit Otto Braun, einem acht Jahre älteren Spitzenfunktionär der KPD. Sie folgte ihm nach Berlin, wo beide 1926 verhaftet wurden. Olga kam frei und beteiligte sich im Frühjahr 1928 an seiner spektakulären Befreiung aus dem Gefängnis Moabit. Beide setzten sich nach Moskau ab, wo Olga für die Kommunistischen Jugendinternationale arbeitete. Bald erhielt sie auch Aufträge vom sowjetischen Auslandsgeheimdienst.
1934 wurde sie als Begleiterin des brasilianischen Kommunisten Luíz Carlos Prestes verpflichtet, der sich in seinem Land mit einem legendären »Marsch« als »Ritter der Hoffnung« einen Namen gemacht hatte, aber anschließend nach Moskau flüchten musste. In seiner Heimat herrschte seit 1930 der Diktator Getúlio Vargas, und es schien, dass dieser durch Volk und Militär gestürzt werden könnte. Prestes, Benario und weitere Kommunisten, darunter die Deutschen Arthur Ewert und seine Frau Elisabeth, genannt Sabo, begaben sich also nach Brasilien. Doch der von der KP geförderte Aufstand vom November 1935 scheiterte - auch an Verrat. Prestes und Olga Benario, inzwischen ein Liebespaar, fielen der berüchtigten Polizei unter Filinto Müller in die Hände. Erst in der Haft stellte Olga fest, dass sie schwanger war. Vor der Auslieferung nach Deutschland schützte sie das nicht. Im Berliner Frauengefängnis in der Barnimstraße brachte sie im November 1936 Tochter Anita zur Welt, die Ende Januar 1938 Prestes’ Mutter Léocadia übergeben werden konnte. Die weltweite Protestbewegung zur Befreiung von Olga Benario blieb erfolglos; sie wurde im April 1942 in der »Heil- und Pflegeanstalt« Bernburg ermordet.
Prestes kam 1945 frei und konnte nun zum ersten Mal seine Tochter in die Arme schließen. Der langjährige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Brasiliens starb 1990 mit über 90 Jahren. Anita Prestes arbeitet als Historikerin in Rio de Janeiro.
Ein Briefwechsel zwischen zwei gefangenen Liebenden ist etwas ganz und gar Ungewöhnliches. Die Zensur in den deutschen wie auch in den brasilianischen Haftanstalten erlaubte es nicht, dass sich die Gefangenen über politische Sachverhalte oder über ihre Haftbedingungen äußerten. Und wie schreibt man einen Liebesbrief, der bei den Zensoren durchgeht? Wie bringt man Gefühle zum Ausdruck, ohne seinen Peinigern zu viele Blößen zu bieten? Wie antwortet man auf einen Brief, den man zwei oder drei Monate später erhält, wissend, dass auch die eigene Antwort erst nach Wochen den Adressaten erreicht? Wie erträgt man die durch Schreibverbot oder Kriegsausbruch bedingten monatelangen Pausen in der Korrespondenz? Wie rettet man diese Liebe über Jahre der Trennung?
Prestes und Olga Benario vermochten, trotz Trauer und Schmerz sich gegenseitig zu ermutigen. Wie Tänzer auf einem Seil über einen tiefen Abgrund. In einem Sonett von Shakespeare heißt es: »Nichts kann den Bund zwei treuer Herzen hindern,/ Die wahrhaft gleichgestimmt.« Prestes hat seine Frau einmal an dieses Gedicht erinnert. Ein anderes Mal schrieb er ihr, ihre Nachricht sei »ein Fest für sein Herz« gewesen.
Der erste Brief von Olga Benario ist datiert vom 31. Januar 1937, gerichtet an Léocadia Prestes. Der erste Brief von Luíz Carlos Prestes an Olga entstand im März jenes Jahres. Sein letzter Brief an sie trägt das Datum vom 12. Februar 1942. Ihr letztes Lebenszeichen stammt von Anfang November 1941. Es sind hier insgesamt 101 Briefe editiert, dazu einige ausgewählte Dokumente.
Ruth Werner hat sich in ihrem biografischen Roman damit beholfen, einen letzten Brief Olga Benarios an ihren Mann und ihre Tochter zu erfinden. Er wurde oft als authentisch zitiert, auch vom brasilianischen Biografen Fernando Morais. Cohen klärt nun diesen Irrtum auf. Er selbst allerdings irrt, wenn er schreibt: »Einzelheiten über die konkrete Wirklichkeit von Olga Benarios KZ-Existenz sind nicht überliefert.« Benario war neben Rosa Thälmann wohl die prominenteste politische Gefangene in Ravensbrück. Über ihre Zeit in diesen Frauen-KZ informieren Berichte, unter anderem von der Kommunistin Maria Wiedmaier.
Olga Benario/ Luiz Carlos Prestes: Die Unbeugsamen. Briefwechsel aus Gefängnis und KZ. Hg. von Robert Cohen. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 270 S., geb., 24,90 €.
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