Das verspätete Gold

Anna Schaffelhuber darf einen Tag nach dem Rennen doch noch über den Sieg beim paralympischen Slalom jubeln

  • Ronny Blaschke, Sotschi
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Grünen Tisch wurde die Disqualifikation der erfolgreichsten deutschen Athletin dieser Winterspiele doch noch aufgehoben.

25 Stunden hatte es gedauert, bis Anna Schaffelhuber doch noch ihren Sieg zugesprochen bekam. Zwischen der Disqualifikation im Slalom und deren Aufhebung lagen viel Verzweiflung, Wut, Traurigkeit und Kampf - um ihr drittes Gold bei den Winter-Paralympics. Am Ende mit Erfolg. Die Monoskifahrerin holte sich am Donnerstagmorgen vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) am Grünen Tisch die Medaille zurück, die ihr tags zuvor wegen eines angeblichen Startfehlers genommen worden war. »Ich bin wahnsinnig erleichtert. Die Nacht war sehr schwierig, ich konnte kaum abschalten«, sagte Schaffelhuber. »Die Entscheidung ist richtig. Ich habe nichts falsch gemacht.« Anna-Lena Forster, Schaffelhubers Zimmerkollegin, bekommt nun doch »nur« Silber.

40 Minuten lang wurden Schaffelhuber und die deutsche Teamleitung vom IPC verhört. Ein österreichischer Trainer hatte ihr - offenbar im Alleingang - einen Regelverstoß vorgeworfen, nun half sogar die Delegationsleitung des Nachbarlands der Deutschen bei der Verteidigung. Zwei Stunden später verkündete das IPC: »Sie hat sich keinen Vorteil verschafft.« Im offiziellen Endergebnis hat sie nun über vier Sekunden Vorsprung auf Forster. Ein gutes Ende zweier Chaostage, welche die 21-Jährige aufgewühlt hatten.

Dabei hatte Anna Schaffelhuber bei diesen Paralympics bislang so in sich ruhend gewirkt. Wenn sie abends im Deutschen Haus in Krasnaja Poljana mit Journalisten spricht, fällt auf, was nicht auffällt: ihre Behinderung. Schaffelhuber redet über Leistungsdruck und Stürze ihrer Konkurrenz, über Dopingkontrollen und ihr Jurastudium. Dass sie querschnittsgelähmt zur Welt kam, wird in der Runde erwähnt, aber nicht vertieft. »Ich kann mich auf meine Ziele konzentrieren«, sagt sie. »Das ist unbezahlbar.«

Wie die Spiele in Sotschi auch weitergehen mögen, eines steht fest: Die noch so junge Athletin, geboren in Regensburg, verkörpert die Zukunft der deutschen Paralympier wie nur wenige. Sie gewann dreimal Gold: in der Abfahrt, dem Super-G und nun also doch auch im Slalom.

Die Paralympier mussten lange mediales Mitleid erdulden, sie wurden in den Gesundheitsmagazinen vorgestellt. Seit einigen Jahren ist das anders. Nun stehen sie im medialen Wettstreit mit anderen Disziplinen, bekannt als Randsportarten. Ihre große Stunde schlägt alle vier Jahre. Anna Schaffelhuber scheint sich Gedanken gemacht zu haben, wie sie dieses kleine Zeitfenster füllt, damit sie in vier Jahren, zu den Spielen im südkoreanischen Pyeongchang, nicht von vorn erzählen muss. Ihre Geschichte ist die einer Aufsteigerin: Sie erkannte ihr Talent früh, war fleißig und zielstrebig. Als eine Art Auszubildende durfte sie mit nach Vancouver, zu den Spielen 2010, im Alter von 17 Jahren. Sie gewann Bronze, ihr Name stand für ein goldiges Versprechen, und nun löst sie dieses ein.

Die Bayerin ist Weltmeisterin geworden, hat Weltcuprennen in Serie gewonnen. Sie wurde mehrfach von den Verbänden geehrt, durfte als Botschafterin für die Stadt München während der Bewerbungsphase für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2018 werben. Für ihr Alter ist das eine beachtliche Zwischenbilanz, doch sie weiß, dass sie ohne paralympisches Gold nicht in die reichenweitenstarken Medien gelangt wäre.

Schaffelhuber, so berichten Trainer und Funktionäre, wirkte ernst, fast streng, bevor es in Sotschi überhaupt losging. Dann stürzte sie sich den Hang hinunter, mit mehr als 100 Stundenkilometern. »Nach der ersten Goldmedaille fiel der Druck ab«, sagt sie. »Nun ist alles eine Zugabe.« Sie ist 21, ihre Zugabe könnte ein gutes Jahrzehnt andauern. »Sie ist eine Werbeträgerin, die den Verband auch an der Basis stärkt«, sagt Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes. Die Nachwuchssorgen des DBS sind in den Wintersportarten deutlicher zu spüren als im Sommer. »Uns fehlt ein flächendeckendes Nachwuchssichtungssystem.« Wenn es ein Talent in die Sportschulen schafft, sei das oft Zufall.

Der DBS möchte dem Zufall auf die Sprünge helfen, und er hat gute Argumente. Laut einer Studie des Forschungsinstituts »Sport und Markt« sehen 76 Prozent der Befragten die paralympischen Sportler als Vorbilder. Diese Zustimmung spiegelt sich nicht im Sponsorenpool des DBS wider, die Kassen sind klamm. Die Sommer-Paralympics 2012 könnten einen Umschwung herbeigeführt haben. Für manche Athleten fühlten sie sich ziemlich olympisch an, der Leichtathlet Heinrich Popow kam dem Etikett des Stars am nächsten. Er geht im Internet auf seine Fans zu, hat eine Agentur für seine Öffentlichkeitsarbeit beauftragt.

Die Winterspiele sind kleiner als die im Sommer, zudem sind dem DBS nach den Paralympics in Vancouver drei Leitfiguren abhanden gekommen: Die Medaillensammler Verena Bentele, Gerd Schönfelder und Martin Braxenthaler. Bentele ist zur Regierungsbeauftragten für behinderte Menschen aufgestiegen, Schönfelder wirkt in Sotschi als Fernsehexperte und Braxenthaler gibt seine Erfahrungen als Trainer an Schaffelhuber weiter. Von Monoskifahrer zu Monoskifahrerin.

Bis zu den Paralympics 2018 dürfte Anna Schaffelhuber ihr Jurastudium abgeschossen haben. Sie lernt meist im Sommer, um im Winter trainieren zu können. Irgendwann möchte sie für die Staatsanwaltschaft arbeiten. Schaffelhuber hat drei Sponsoren, sie hofft, dass es nun mehr werden. Auch sie hat eine Agentur für ihre PR beauftragt. Vor Wochen war sie im Aktuellen Sportstudio zu Gast. Dabei hat ihre Karriere gerade erst begonnen.

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