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Plan mit Rückkopplung

Vor 50 Jahren starb der Mathematiker Norbert Wiener. Die von ihm entwickelte Kybernetik fand auch in der DDR prominente Anhänger. Von Martin Koch

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 6 Min.

Den meisten Menschen dürfte das Wort »cybernetics«, zu deutsch Kybernetik, vertraut vorkommen. Denn darin enthalten ist das heute häufig gebrauchte Präfix »cyber«, das inzwischen auch Eingang in den Duden gefunden hat. Dort wird der 1982 von dem Science-Fiction-Autor William Gibson geprägte Begriff »Cyberspace« definiert als »die von Computern erzeugte virtuelle Scheinwelt, die eine fast perfekte Illusion räumlicher Tiefe und realitätsnaher Bewegungsabläufe vermittelt«.

Der Begriff »cybernetics« ist dagegen um einiges älter. Er geht zurück auf den US-Mathematiker Norbert Wiener und leitet sich von dem griechischen Wort »kybernān« (= steuern, regeln) ab. Tatsächlich beschäftigt sich die Wissenschaft, die Wiener 1948 Kybernetik nannte, vor allem mit der (Selbst-)Steuerung von Maschinen, lebendigen Organismen und sozialen Organisationen.

Ein wesentliches Kennzeichen solcher Systeme ist die Rückkopplung (engl. feedback), die es etwa einer Maschine erlaubt, ihre Tätigkeit an Schwankungen der Umwelt anzupassen. Zu diesem Zweck müssen die Ergebnisse der von der Maschine ausgeführten Prozesse wieder in die Maschine eingespeist werden. Das geschieht zum Beispiel bei einer Zentralheizung. Statt nach einem vorher festgelegten Plan Wärme durch ein Haus zu pumpen, sorgt ein Thermostat dafür, dass die Heizung in Abhängigkeit von gemessenen Temperaturänderungen automatisch hoch- bzw. heruntergefahren wird.

Als Wiener begann, sich näher mit rückgekoppelten Systemen zu beschäftigen, hatte er bereits eine außergewöhnliche Karriere hinter sich. Denn der am 26. November 1894 im US-Bundesstaat Missouri geborene Sohn eines Slawisten stand schon früh in dem Ruf, ein Genie zu sein. Mit 12 beendete Wiener die Oberschule, mit 14 das College. Anschließend studierte er Zoologie in Harvard und später Philosophie an der Cornell University. Nachdem er mit einer Arbeit über mathematische Logik den Doktortitel erworben hatte, setzte er sein Studium bei Bertrand Russell in Cambridge (England) und David Hilbert in Göttingen fort. Mit 19 Jahren wurde Wiener als Dozent für Mathematik an das Massachusetts Institute of Technology (MIT) berufen, wo er später auch als Professor lehrte. Im Zweiten Weltkrieg trat er in die Dienste der US-Armee und war damit befasst, rückgekoppelte Flugabwehrgeschütze zu konstruieren. Deren Vorzug bestand darin, dass sie den Schusswinkel der Geschütze selbsttätig an die Flugbahn von Bombenflugzeugen anpassen konnten.

Auf diese Erfahrungen griff Wiener zurück, als er nach dem Krieg die Kybernetik als fächerübergreifende Wissenschaft entwickelte, die sich mit Maschinen (bzw. Systemen) beschäftigt, deren Eigenschaften vorrangig aus ihrer inneren Struktur und nicht aus den Elementen ihres Aufbaus resultieren. Die Erkenntnisse, die man bei der Analyse von abstrakten kybernetischen Systemen gewinnt, werden anschließend zur Beschreibung von konkreten, sprich technischen, biologischen oder sozialen Systemen verwendet, von denen viele nur auf diesem Weg einer mathematischen Behandlung zugänglich sind. Wie produktiv ein solcher Erkenntnistransfer sein kann, zeigt das Beispiel der Bionik, in deren Rahmen Konstruktions- und Entwicklungsprinzipien der Natur für technische Innovation nutzbar gemacht werden.

Wiener selbst warnte davor, die Kybernetik als ein geschlossenes Theoriensystem zu betrachten. Sie sei vielmehr »eine Denkweise, eine Disziplin, die sich mit der Zeit, und zwar nach vielen Richtungen hin, entwickeln wird«. Eine dieser Entwicklungen mündete in das Konzept der künstlichen Intelligenz (KI). Denn Wiener war überzeugt, dass ähnlich wie der Mensch auch eine Maschine Informationen über Rückkopplungsschleifen verarbeiten könne und mithin in der Lage sei, aus Erfolgen und Misserfolgen zu lernen.

Doch Rückkopplungen tragen nicht nur dazu bei, ein »aus dem Tritt« geratenes System wieder in den Zustand des Gleichgewichts zurückzuführen. Unsere Welt, schrieb Wiener, »ist eine Welt des Werdens, nicht eine Welt eines endgültigen toten Gleichgewichts, zu der das Werden führt«. Heute sprechen Wissenschaftler davon, dass die Dynamik vieler natürlicher und sozialer Systeme nichtlinear bzw. chaotisch ist. Das heißt: Sobald solche Systeme in einen instabilen Zustand geraten, tritt positive Rückkopplung ein. Dabei werden kleine Systemschwankungen so weit verstärkt, dass aus ihnen letztlich eine neue Systemstruktur hervorgehen kann.

Hoch geehrt und international anerkannt starb Wiener am 18. März 1964 während einer Vortragsreise in Stockholm. Zu jener Zeit hatte die von ihm begründete Kybernetik nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in der DDR viele einflussreiche Befürworter gefunden. An erster Stelle wäre hier der Mathematiker und Philosoph Georg Klaus zu nennen, der bereits 1961 in einem Buch feststellte: »Die Kybernetik greift tief in unser materielles und geistiges Sein ein. Was ihre revolutionäre Wirkung anbetrifft, kann sie in Parallele zu den Entdeckungen eines Kopernikus, eines Darwin und Marx gesetzt werden.« Auch wenn andere DDR-Philosophen diesen Anspruch für maßlos übertrieben hielten, war der Siegeszug der Kybernetik nicht aufzuhalten. Denn kein Geringerer als SED-Chef Walter Ulbricht hatte sich entschlossen, das starre planwirtschaftliche System der DDR zu reformieren. Statt die Wirtschaft weiter bürokratisch »von außen« zu steuern, sollte den Produktionseinheiten künftig mehr Raum gelassen werden, sich gleichsam selbst zu regulieren.

Die Theorie dafür sah Ulbricht in der Kybernetik, die deshalb »besonders zu fördern« sei, wie er 1963 auf dem VI. Parteitag der SED forderte. Und so wurde neben einer »Kommission für Kybernetik« an der Akademie der Wissenschaften 1968 ein Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse gegründet. »Schon damals hatten viele Wissenschaftler die Überzeugung gewonnen, dass hochkomplexe soziale Systeme nicht zentral gesteuert werden können«, sagt der Philosoph Heinz Liebscher, der zeitweilig Sekretär der Kybernetik-Kommission war. Doch der erhoffte Modernisierungsschub blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Anders als die SED-Führung geglaubt hatte, war die Reform der DDR-Wirtschaft nicht nur ein technisch-organisatorisches Problem. Dazu hätte es überdies einer stärkeren politischen Liberalisierung bedurft. Nicht zuletzt gefährdete das kybernetische Modell einer Selbststeuerung ohne Lenkung den absoluten Führungsanspruch der SED.

Zwar gab es bereits nach dem »Prager Frühling« ideologisch motivierte Kritik an der Kybernetik. Parteiamtlich sanktioniert wurde diese aber erst nach dem Machtantritt von Erich Honecker, der auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 vollmundig erklärte: »Nun ist endlich erweisen, dass Kybernetik und Systemforschung Pseudowissenschaften sind.«

Obwohl Ulbricht fortan als Unperson galt, blieben die von ihm eingeleiteten Reformen nicht ohne Nachwirkung. Denn parallel zum Aufschwung der Kybernetik hatte sich die Entwicklung der Elektronik vollzogen, zu deren wichtigsten Aufgaben die Konstruktion und Herstellung »kybernetischer Rechenmaschinen« gehörte. Und auch wenn es heute kaum noch jemand wahrhaben will: Der 1967 in Serie gegangene Robotron-Rechner »R300« entsprach internationalem Standard. Bereits ein Jahr später allerdings vereinigten die RGW-Staaten ihre Ressourcen bei der Computerentwicklung. Die Sowjetunion und die DDR lieferten die meisten Zentraleinheiten, die Tschechoslowakei Lochbandleser. Aus der DDR kamen zudem Drucker, aus Bulgarien Festplatten. Doch so sehr man diese Art von Arbeitsteilung im Osten auch rühmte, das ehrgeizige Ziel, dadurch eine international konkurrenzfähige Computerindustrie zu schaffen, wurde nicht erreicht.

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