Leserwanderung im Arbeiterbezirk

Am 13. April startet am S-Bahnhof Pichelsberg die nd-Frühjahrstour zum Brauhaus Spandau

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Wo Arbeiter wohnen und wo seit 1899 die Firma Siemens produziert - erstmals führt eine nd-Wanderung zu einem Ziel in Spandau.

Der Siemenskonzern und andere Firmen wie Osram prägen Spandau bis heute - nicht nur im Ortsteil Siemensstadt. Der Bezirk ist ein alter Arbeiterbezirk und darf als solcher heute noch gelten, was auf andere alte Arbeiterbezirke der Hauptstadt schon lange nicht mehr zutrifft. Kein Schickimicki am befestigten Ufer der Havel, dafür alte Hafenkräne und moderne Mietskasernen. Auf der Promenade alte Männer beim Angeln, alte Ehepaare auf den Bänken, rauchende Jungen, flanierende Mädchen. Allen sieht man an, dass sie ganz einfache Menschen sind, die ihren Lebensunterhalt sauer mit ihrer Hände Arbeit einst verdienen mussten oder derzeit verdienen müssen.

So habe ich es empfunden, als ich mich am späten Montagnachmittag in der Nähe der Spandauer Altstadt umsah. Vorher roch ich im Grunewald ganz intensiv frisches Holz. »Vorsicht Rückearbeiten!«, warnte dort ein Hinweisschild. Zwei Spezialkräne schichteten Stapel mit Baumstämmen um, Spaziergänger schoben sich vorsichtig an diesen schweren Maschinen vorbei.

Bei herrlichem Sonnenschein radelte ich zur Vorbereitung der nd-Leserwanderung am 13. April den vorgesehenen Weg entlang. Gestartet wird am 13. April von 8 bis 11 Uhr am S-Bahnhof Pichelsberg. Ziel ist das Brauhaus Spandau in der Neuendorfer Straße 1. Zur Auswahl stehen zwei Strecken: eine 14 Kilometer lang, die andere acht Kilometer kurz. Für Rollstuhlfahrer gibt es eine Möglichkeit, für sie unüberwindliche Treppen und steile Anstiege zu umfahren. Dabei verpassen sie leider den schönsten Abschnitt an den Tiefwerder Wiesen, wo sich idyllische Kanäle an Laubengrundstücken mit Bootsanlegestelle befinden. Doch anders geht es leider nicht.

Bei Siemens in Spandau stehen immer noch viele Leute in Lohn und Brot. 1897 begann der Konzern, sich in die Jungfernheide hinein anzusiedeln, als der Platz für die Produktionshallen in Charlottenburg nicht mehr ausreichte. Neben Werkhallen und Büros entstanden auch Werkssiedlungen. Los ging es mit einem Kabelwerk. 1900 arbeiteten in der Siemensstadt 1200 Beschäftigte, 1929 waren es bereits 60 000.

Den Höhepunkt mit beinahe 68 000 Arbeitskräften erreichte der Standort 1941. Ukrainische Zwangsarbeiterinnen waren ab 1942 in ein Lager auf dem Gelände des Schaltwerks eingepfercht. Ab Sommer 1944 sind im benachbarten Lager Haselhorst 1450 Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen und 700 Frauen aus dem KZ Ravensbrück untergebracht gewesen. Selbstverständlich stellte Siemens seinerzeit Rüstungsgüter her, wie bereits im Ersten Weltkrieg, als das Unternehmen riesige Gewinne erzielte, während Tausende Siemensarbeiter als Soldaten auf den Schlachtfeldern verbluteten.

Die Wiege der mittlerweile weltweit agierenden Siemens AG steht in Berlin. Hier gründeten der Ingenieur Werner Siemens und der Feinmechaniker Johann Georg Halske im Jahre 1847 mit einem Startkapital von 6842 Talern in einem Hinterhaus in der Schöneberger Straße die Telegrafen-Bauanstalt von Siemens & Halske. Entwicklungen aus dem Hause Siemens trieben die industrielle Revolution voran, Geräte wie das Protos-Bügeleisen erleichterten Hausfrauen die Arbeit. Bis 1949 befand sich die Unternehmenszentrale in der Siemensstadt. Kürzlich wurde der Grundstein für den Neubau der Zentrale in München gelegt. Siemens beschäftigt gegenwärtig mehr als 360 000 Mitarbeiter, davon 116 000 in Deutschland.

Dorothea Zöbl: »Siemens in Berlin. Spaziergänge durch die Geschichte der Elektrifizierung«, verlag für berlin-brandenburg, 196 Seiten, 12,90 Euro.

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