Karlsruher Aufgabenstellung
Tom Strohschneider über das Verfassungsgerichtsurteil zur Staatsferne in den Aufsichtsgremien des ZDF
Über dieses Karlsruher Urteil wird man noch eine Weile reden müssen. Und das liegt nicht nur daran, dass das Bundesverfassungsgericht dem ZDF bis Mitte 2015 Zeit gegeben hat, für mehr Staatsferne in seinen Gremien zu sorgen. Der Richterspruch ist nicht nur eine deutliche Klatsche für die langjährige Selbstgerechtigkeit des sich immer noch als die »Großen« wähnenden schwarz-roten Parteienkartells. Das Urteil gibt auch Anlass, sich ganz grundsätzlich mit der Beschaffenheit einer Öffentlichkeit auseinanderzusetzen, deren politische Signatur sich seit Jahrzehnten selbst reproduziert hat: Was Mehrheitsperspektive ist, blieb Mehrheitsperspektive, solange die Entscheidungen über Köpfe und Inhalte, die die Perspektive mitformten, selbst nichts anderes waren als ein Ausfluss dieser Mehrheitsperspektive.
Wird das nun anders? Karlsruhe hat klargestellt, dass zur Sicherung der Vielfalt in einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, damit diese res publica nicht weiter Interessenverein weniger bleibt, auch bei der Auswahl der »staatsnahen« Gremienmitglieder »die verschiedenen politischen Strömungen« zu berücksichtigen sind. Umso mehr gilt dies für die »staatsfernen« Aufseher des ZDF. Das klingt bürokratisch und ist es auch. Eine politisch ausgewogenere, den gesellschaftlichen Sichtweisen und Interessen besser entsprechende Besetzung von Gremien allein wird aber nicht ausreichen, um mit der bisweilen aus dem Bildschirm triefenden partei- und politischen Einseitigkeit Schluss zu machen – und mit jenem noch weit schlimmeren Trend zum flachen Erbauungsfernsehen, das mit seinem Unterhaltungs-Imperativ jede weitere Frage nach einer politischen Programmgestaltung praktisch ohnehin verhöhnt.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse die in der Gesellschaft vertretenen Meinungen »facettenreich widerspiegeln«, hat Karlsruhe jetzt verlangt. Richtig so, aber eigentlich auch eine demokratische Binsenweisheit. Damit aus dem Urteil irgendwann auch einmal eine andere, neue Fernsehwirklichkeit wird, also ein für die Meinungsbildung immer noch zentraler Beitrag zu einer demokratischen Öffentlichkeit, braucht es mehr als Gerichtsentscheidungen zur Gremienzusammensetzung. Zum Beispiel mündige Zuschauer, die auch tatsächlich etwas zu sagen haben. Diese Herausforderung wird man nicht Karlsruhe überlassen können.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.