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»Einen Rückschritt hat es nicht gegeben«
Der Landtagsabgeordnete Peer Jürgens hält die Kritik am neuen Hochschulgesetz für völlig überzogen
nd: Zur Verabschiedung des neuen Brandenburgischen Hochschulgesetzes am Donnerstag im Landtag hagelte es Kritik von Studenten und auch von der Linksjugend solid. Versteht die Politik zu wenig von den Sorgen der Studenten?
Jürgens: Wir haben sehr wohl verstanden, was die Problemlagen sind. Wir haben auch reagiert und einiges verbessert. Bei den großen linken Symbolen der Hochschulpolitik hat sich jedoch leider nichts verändert. Da kann ich die Enttäuschung sogar verstehen. Die Rückmeldegebühr von 51 Euro pro Semester, die auch ich für eine verkappte Studiengebühr halte, wird durch das Gesetz nicht abgeschafft. Wir können jetzt in dieser Frage weiter nur auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vertrauen. Außerdem wird an der Vormachtstellung der Professoren nicht gerüttelt.
Die LINKE hätte sich die Viertelparität gewünscht, also die gleiche Gewichtung von Stimmen der Professoren, der Studierenden, der wissenschaftlichen Mitarbeiter und der nicht wissenschaftlichen Beschäftigten. Bei bestimmten Fragen schließt das Bundesverfassungsgericht eine solche Viertelparität aus. Das heißt, in diesen Fällen können die Professoren alles durchsetzen, wenn sie sich einig sind. In anderen Fragen - beispielsweise bei der Wahl des Universitätspräsidenten - wäre aber nach meiner Ansicht mehr Demokratie möglich gewesen. Doch das wollten leider weder die SPD noch das Wissenschaftsministerium. Die LINKE konnte sich hier leider nicht durchsetzen.
Die SPD-Abgeordnete Susanne Melior argumentierte gegen die Rückmeldegebühr, indem sie sagte, auf die insgesamt fünf Millionen Euro pro Semester könnten die Hochschulen nicht verzichten. Wäre es dem Land Brandenburg nicht möglich gewesen, das Geld bereitzustellen, wo doch Steuermehreinnahmen zu verzeichnen sind?
Selbstverständlich wäre dies möglich gewesen. Unser Finanzminister Christian Görke (LINKE) hatte auch zugesichert: Das Geld kommt. Es gab bereits eine Verabredung der Fraktionsspitzen, die Rückmeldegebühr zu streichen. Aber die SPD machte dann einen Rückzieher.
Warum?
Das ist Wahltaktik. Die Sozialdemokraten wollten uns Sozialisten so kurz vor der Kommunalwahl am 25. Mai und vor der Landtagswahl am 14. September keine Erfolge gönnen. Wenn die Rückmeldegebühr abgeschafft worden wäre, dann wäre das ganz eindeutig ein Erfolg für die LINKE gewesen.
Der AStA der Universität Potsdam verlangte, dass die wissenschaftspolitischen Sprecher von SPD und LINKE zurücktreten - also Sie und ihre SPD-Kollegin Susanne Melior. Was halten Sie davon?
Wenn behauptet wird, durch das neue Gesetz werde die Lage der Studierenden verschlechtert, dann ist das gelogen und es ist auch zynisch gegenüber den behinderten Kommilitonen, für die sich doch spürbar etwas tut. Für Studierende, die beispielsweise blind oder psychisch krank sind, schreibt das Gesetz jetzt einen besseren Ausgleich für ihre Nachteile vor. So dürfen sie sich etwa mehr Zeit bis zur Abgabe von Hausarbeiten lassen, oder sie bekommen Assistenten zur Seite gestellt, die ihnen helfen. Zwar gelang nicht alles, was sich die Studierenden und was auch ich mir gewünscht hätte. Einen Rückschritt hat es jedoch an keiner einzigen Stelle gegeben. Die Rücktrittsforderung kann ich nicht ernst nehmen, wenn gesagt wird, die Hochschulpolitik von Rot-Rot sei »weder sozial, noch demokratisch und auch nicht links, sondern menschenverachtende, kapitalistische Kackscheiße«.
Sie können das nicht ernst nehmen wegen des Fäkalausdrucks?
Wegen der Ausdrucksweise, aber auch, weil es einfach nicht stimmt. Rot-Rot betreibt selbstverständlich keine menschenverachtende, kapitalistische Politik. Das ist Unsinn.
Können Sie beweisen, dass Rot-Rot stattdessen menschenfreundliche sozialistische Politik macht?
Ich kann zumindest vier Punkte aufzählen, warum es sich aus meiner Sicht lohnte, dem neuen Hochschulgesetz zuzustimmen. Erstens: Die Brandenburgische Studierendenvertretung erhält mehr Einfluss. Künftig muss sie bereits im Entwurfsstadium über geplante Änderungen am Hochschulgesetz informiert werden und der Landtag muss sie zwingend dazu anhören. Bisher basierte die Anhörung auf der Gutwilligkeit der Abgeordneten. Sie hätten es auch unterlassen dürfen.
Zweitens: Die Exmatrikulation erfolgt künftig erst zum Semesterende und nicht bereits mit Aushändigung des Abschlusszeugnisses. Um das zu illustrieren: Ich selbst habe mein Zeugnis im Februar 2011 erhalten und bin sofort exmatrikuliert worden. Nach der neuen Regelung wäre meine Exmatrikulation erst im April erfolgt. Studenten gewinnen so mehrere Monate, sich beruflich zu orientieren. Sie müssen sich in dieser Zeit keine Sorgen um ihre Krankenversicherung machen und dürfen so lange weiterhin das günstige Semesterticket für Bus und Bahn benutzen.
Drittens: Das Gesetz mildert die prekäre Beschäftigung an den Hochschulen. Vorgeschrieben ist jetzt, Dozenten mindestens zwei Jahre lang zu beschäftigen. Bislang erhielt ein Großteil von ihnen nur befristete Verträge, die kürzer als ein Jahr liefen, viele sogar nur ein halbes Jahr. Für Beschäftigte von Drittmittelprojekten schreiben wir vor, dass sie einen Vertrag für die gesamte Projektlaufzeit bekommen. Bisher war es üblich, bei einem Projekt über drei Jahre immer nur Arbeitsverträge für ein Jahr auszuhändigen. Das waren Machtspielchen der Vorgesetzten, denen wir nun einen Riegel vorschieben. Ich denke, die Studenten sollten einmal über ihren Tellerrand schauen, und auch dies honorieren.
Viertens: Die Technische Universität Cottbus warf Studierende in der Vergangenheit bereits hinaus, wenn sie mit Prüfungen mehr als ein Semester im Verzug waren. Andere Hochschulen taten dies bei zwei oder drei Semestern Verzug. Mit dem neuen Gesetz geschieht solchen Studierenden vier Semester lang überhaupt nichts. Erst dann werden sie zu einem Beratungsgespräch eingeladen und bekommen danach noch einmal eine Frist von ein oder zwei Semestern, um die Prüfung zu schaffen. Damit ist die umstrittene Zwangsexmatrikulation zwar nicht wie gewünscht abgeschafft, die Lage der Studierenden verbessert sich jedoch deutlich. Dabei habe ich jetzt nur vier Beispiele genannt. Es gibt darüber hinaus eine große Zahl weiterer Fortschritte.
Warum sind die Studenten trotzdem unzufrieden?
Das weiß ich nicht, aber wir werden dazu das Gespräch suchen.
Der parteilosen Wissenschaftsministerin Sabine Kunst wird noch aus ihrer Zeit als Präsidentin der Universität Potsdam vorgeworfen, neoliberal zu sein. Was halten Sie davon und wie verträgt sich das mit einer rot-roten Regierung?
Frau Kunst ist tatsächlich keine linke Ministerin - also keine Ministerin der Linkspartei und auch keine der linken Denkansätze. Trotzdem konnten wir mit ihr einiges umsetzen. Sie hat keineswegs versucht als Wissenschaftsministerin die brandenburgischen Hochschulen neoliberal umzuformen. Sie hat als Universitätspräsidentin einige kritikwürdige Dinge getan. Aber sie hat sich als Ministerin im Rahmen der rot-roten Koalition bewegt und Politik gemacht. Das zeigte sich auch bei der umstrittenen Rückmeldegebühr. Sabine Kunst war persönlich dafür, diese Gebühr abzuschaffen, wenn das Finanzministerium diese Summe kompensiert.
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