Nervosität an beiden Dnjestr-Ufern
Republik Moldau versetzt ihre Truppen in erhöhte Bereitschaft
»Die Ukraine hat die Krim wegen der Unfähigkeit ihrer Armee zu schnellen Reaktionen verloren«, begründete der moldauische Präsident Nicolae Timofti seinen Beschluss, die eigenen Truppen wegen »innerer Gefahren« in erhöhte Bereitschaft zu versetzen. Überdies beauftragte er den Verteidigungsminister, »Soldaten auszusondern, die gegen die Interessen des Landes handeln«.
Die Republik Moldau hat ihre eigene »Krim«. Sie nennt sich selbst Moldauische Dnjestr-Republik, und wird im Westen »Transnistrien« genannt, Land »jenseits des Nistru«. Nistru wiederum ist der moldauische Name des Dnjestr. Die überwiegend russischen und ukrainischen Bewohner des schmalen Streifens am östlichen Ufer des Flusses sprechen kurz von »Pridnjestrowje«.
Das Gebiet war 1940 mit der vormals rumänischen Provinz Bessarabien, die Moskau durch den Hitler-Stalin-Pakt zugefallen war, zur Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik vereinigt worden. Den Löwenanteil an deren Wirtschaftsleistung erbrachte die Ostregion, wo in den 30er Jahren eine leistungsfähige Schwerindustrie wie im Osten der Ukraine entstanden war. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991, als in der Republik Stimmen für eine »Wiedervereinigung« mit Rumänien laut wurden, erklärte sich die Dnjestr-Republik für unabhängig und widerstand mit Hilfe russischer Truppen der militärischen Rückeroberung durch die moldauischen Streitkräfte. Moskau hat bis heute Soldaten in der Region stehen und verweigert den von der OSZE geforderten Abzug. Begründung: Schutz der riesigen sowjetischen Munitionsvorräte, für deren Entschärfung kein Geld da sei.
Bei Volksentscheiden haben sich die rund 500 000 Einwohner der Dnjestr-Republik schon zweimal mehrheitlich für einen Beitritt zu Russland entschieden. Moskau hatte das bisher stets ignoriert. Nach dem Anschluss der Krim indes drohte der russische Vizepremier Dmitri Rogosin, der zugleich Transnistrien-Beauftragter von Präsident Wladimir Putin ist, in einem Fernsehinterview mit dem Einsatz »des gesamtes Arsenals von politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und notfalls auch militärischen Mitteln, falls unsere Landsleute mit Gewalt bedroht werden.«
Gemeint waren Aufmärsche radikaler Nationalisten in der moldauischen Hauptstadt Chisinău, die antirussische Stimmungen schüren, von ihrer Regierung mehr Eifer bei Bemühungen zur Wiedereingliederung der Dnjestr-Republik in den moldauischen Staatsverband und eine schnelle Integration in westeuropäische Strukturen fordern.
Die Regierung in Chisinau will im Sommer das im November auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Vilnius paraphierte Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen und strebt auch eine engere Zusammenarbeit mit der NATO an. Wie der ehemalige Sicherheitsminister Anatol Plugaru der »Nesawissimaja Gaseta« schon Anfang März, auf dem Höhepunkt der Krimkrise, verriet, soll Chisinău die NATO sogar um Soldaten gebeten haben, die am Dnjestr in Stellung gehen und die Rumpfmoldau zuverlässig vor Expansionsgelüsten der jenseits stationierten russischen Einheiten schützen sollen. Diese Truppen, erklärte der Dnjestr-Abgeordnete Dmitri Soin gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti, seien inzwischen ebenfalls in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden.
Das Gerangel um Einfluss in der Ukraine zwischen dem Westen und Moskau, warnt Fjodor Lukjanow, der Chef des Rates für Außen- und Sicherheitspolitik beim Präsidenten, würde auch den Interessenkonflikt der Völker in der Republik Moldau befeuern, zumal dort im Herbst Parlamentswahlen stattfinden. Nicht nur die Dnjestr-Republik, auch die türkischsprachigen Gagausen und die Bulgaren im Süden und Teile des Nordens ziehe es eher in die von Russland dominierte Eurasische Wirtschaftsunion als in die EU.
Vor allem die Ukraine und Moldau hat Lukjanow, der auch Chefredakteur der außenpolitischen Zeitschrift »Russland in der globalen Politik« ist, als mögliche Schlachtfelder jener Sezessionskriege ausgemacht, deren Ausbleiben Experten nach dem Ende der Sowjetunion 1991 mit Erleichterung registriert hatten. Vermieden werden können sie nur durch Föderalisierung, warnte Lukjanow. Die Erfolgschancen seien jedoch gering. Vater des Gedankens sei Russland, Europa fürchte daher, Moskau werde Zustimmung als Zugeständnis interpretieren.
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