»Die Menschen sollen in ihrer Heimat bleiben«

... und dort für Wandel und Wirtschaftsaufschwung sorgen. Von wegen: Teil 6 der nd-Serie über Mythen der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik

  • Lesedauer: 3 Min.

Deutschland will sich bis heute nicht von dem Dogma lösen, es sei »kein Einwanderungsland«. Asylsuchende sind hier deshalb einer ganzen Reihe diskriminierender Gesetze unterworfen. Und auch auf europäischer Ebene gehört Deutschland in Sachen Asyl zu den Hardlinern. In einer Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung soll der grundlegende Widerspruch der europäischen Asylpolitik ins Licht gerückt werden: Die EU lässt sich als »Raum des Schutzes und der Solidarität« feiern, der den Opfern von Kriegen und Verfolgung Zuflucht bietet. Doch gleichzeitig tut sie alles, um zu verhindern, dass Menschen, die diesen Schutz nötig haben, ihr Recht auf Asyl in Anspruch nehmen können.

»Die Menschen sollen in ihrer Heimat bleiben, den demokratischen Wandel unterstützen und sich am wirtschaftlichen Aufbau beteiligen.« (Der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am 14. Februar 2011)

Die meisten EU-BürgerInnen können sich auf der Welt frei bewegen. Sie können reisen, wohin sie wollen. Für Menschen aus Afrika oder Asien gilt in der Regel das Gegenteil. Trotzdem werden MigrantInnen aus dem Süden der Welt gern an ihre Verantwortung gegenüber ihren Herkunftsländern erinnert. Diese Ratschläge kommen immer dann auf den Tisch, wenn es um MigrantInnen geht, von denen man sich hierzulande keinen Vorteil verspricht. Bei den Übrigen spielt die Verantwortung gegenüber den Herkunftsländern offenbar keine Rolle.

Deutschland führt sogenannte Positivlisten mit Mangelberufen. Menschen, deren Qualifikation gebraucht wird, werden mit Slogans wie »Make it in Germany« aktiv angeworben. Viele Fachkräfte kamen diesen Angeboten wegen der relativ hohen Löhne nach. Deutschland hat von ihnen profitiert. Dass deshalb in einer Reihe von osteuropäischen Ländern mittlerweile ÄrztInnen und Pflegekräfte fehlen, interessiert hier die wenigsten.

Was ist dran?

Es ist wahr: Braindrain, die Abwanderung von gebildeten Arbeitskräften, kann ein Entwicklungshemmnis sein. Doch niemand ist wegen seines Geburtsortes irgendeinem Land der Welt verpflichtet. Wer gehen will, soll gehen dürfen.

In vielen afrikanischen Ländern ist es aber genau umgekehrt. Hier ist Migration einer der wichtigsten Motoren für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung.

30 Millionen afrikanische MigrantInnen überwiesen im Jahr 2013 mindestens 65 Milliarden US-Dollar in ihre Herkunftsländer. 19 Das ist mehr, als an Entwicklungshilfen oder ausländischen Investitionen nach Afrika flossen. Die remittances genannten Rücküberweisungen sind seit Beginn des 21. Jahrhunderts um 55 Prozent gestiegen. 120 Millionen AfrikanerInnen profitieren direkt davon. Die Gelder kurbeln die Binnennachfrage und das Kleinunternehmertum an – ganz im Gegensatz zu vielen Entwicklungsprojekten. In Ländern wie Senegal oder Nigeria machen Rücküberweisungen rund zehn Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Sowohl für die Afrikanische Union als auch für die Afrikanische Entwicklungsbank überwiegen eindeutig die Vorteile der remittances die möglichen Nachteile von Braindrain.

Und übrigens: Die meisten MigrantInnen kehren nach einer Weile in ihre Länder zurück. Ihre im Ausland gewonnenen Erfahrungen und Qualifikationen haben einen überaus positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern.

Die Broschüre »Flüchtlinge Willkommen - Refugees Welcome?« hat Christian Jakob verfasst, sie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen.

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