»Natürlich sind die selbst Schuld«

... sagte ein Banksprecher über Hungernde in Afrika. Wie bitte? Teil 7 der nd-Serie über Mythen der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik

  • Lesedauer: 4 Min.

Deutschland will sich bis heute nicht von dem Dogma lösen, es sei »kein Einwanderungsland«. Asylsuchende sind hier deshalb einer ganzen Reihe diskriminierender Gesetze unterworfen. Und auch auf europäischer Ebene gehört Deutschland in Sachen Asyl zu den Hardlinern. In einer Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung soll der grundlegende Widerspruch der europäischen Asylpolitik ins Licht gerückt werden: Die EU lässt sich als »Raum des Schutzes und der Solidarität« feiern, der den Opfern von Kriegen und Verfolgung Zuflucht bietet. Doch gleichzeitig tut sie alles, um zu verhindern, dass Menschen, die diesen Schutz nötig haben, ihr Recht auf Asyl in Anspruch nehmen können.

»Natürlich sind die selbst Schuld« (Der Pressesprecher der Deutschen Bank, Frank Hartmann, auf die Frage, ob die Menschen in Afrika an ihrem Hunger selbst schuld seien, 2011)

Was ist dran?

Die erste Flüchtlings-Selbstorganisation in Deutschland, die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, brachte es so auf den Punkt: »Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört.« Seit der Kolonialzeit beuten Europa und die USA die Länder des globalen Südens aus, bis heute tragen sie deshalb eine Mitverantwortung dafür, dass in vielen Regionen der Welt Armut, Hunger, Umweltzerstörung und Krieg herrschen – und Menschen fliehen.

Der Westen ist keineswegs der alleinige Schuldige an diesen Zuständen. Doch trägt seine Politik an vielen Stellen dazu bei, sie aufrechtzuerhalten. Einige Beispiele:

Deutschland ist einer der weltweit führenden Exporteure von Waffen. Deutsche Waffen dürfen zwar nicht in Konfliktgebiete geliefert werden, gleichwohl gelangen sie dorthin: Hubschrauber in den Irak, Waffen aller Art nach Saudi-Arabien, G36-Sturmgewehre von Heckler & Koch nach Ägypten, Mexiko oder Libyen, Panzer in die Türkei, die Liste ließe sich fortsetzen. In der Regel verstärkt der Nachschub an Waffen die Intensität von Konflikten und Repression und die Zahl der Toten, Verletzten und Flüchtlinge steigt. Der unkontrollierte Handel mit Kleinwaffen befördert die Herrschaft von Warlords und verbrecherischen Milizen.

Viele Regime in der Welt können sich trotz dauerhafter Menschenrechtsverletzungen an der Macht halten, weil sie vom Westen gestützt werden. Dies kann direkt durch die Zahlung von Militär-, Wirtschafts- oder Entwicklungshilfe geschehen, aber auch durch politische Anerkennung. Die Folge ist die gleiche: Mit dem Segen der EU und der USA können Regime ihre Herrschaft verteidigen. Angehörige bestimmter Minderheiten, Oppositionelle, aber auch Menschen, die nicht vom herrschenden System profitieren, sondern arm sind, werden dadurch gezwungen, ihre Länder zu verlassen. Beispiele hierfür sind die Langzeit-Diktatur des Eyedema-Clans in Togo, das Biya-Regime in Kamerun oder auch, bis zum Ausbruch des Krieges 2011, das Assad-Regime in Syrien.

Westliche Firmen betreiben Spekulationen mit Nahrungsmitteln und Ackerland im Süden der Welt. Immer mehr gekauftes Ackerland wird zum Anbau von Futtermitteln und Biodiesel verwendet. Dadurch steigen die Lebensmittelpreise in den Entwicklungsländern so stark an, dass die Zahl der Hungernden trotz großer Bemühungen nicht schrumpft, sondern möglicherweise sogar wieder steigen wird.

Das vom Westen aufgebaute globale Finanzsystem sorgt für eine immer stärkere Konzentration von Reichtum. Heute besitzen die 85 reichsten Menschen der Welt so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit.21 Gleichzeitig müssen über eine Milliarde Menschen auf der Welt mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen. Diese Art von Ungleichverteilung ist auch verantwortlich dafür, dass noch immer alle fünf Sekunden ein Kind verhungert, obwohl die globale Landwirtschaft die gesamte Weltbevölkerung ernähren könnte.

Kreditgeber zwingen verschuldete Länder, ihre Ausgaben für Bildung, Sozialleistungen und Gesundheit einzuschränken. So verelenden Teile der Bevölkerung; Geld, das dringend im eigenen Land benötigt würde, fließt in den Schuldendienst. Armut wird dadurch zementiert.

Internationale Fangflotten fischen die Meere vor Afrika leer, die Genehmigungen hierfür erpressen Länder wie Spanien mit der Drohung, ansonsten die Kredite zu sperren. Auf ähnliche Weise wird die Ausbeutung von Rohstoffen so organisiert, dass den Ländern des Südens am Ende wenig mehr von ihren einstigen Bodenschätzen bleibt als Umweltschäden.

Die Broschüre »Flüchtlinge Willkommen - Refugees Welcome?« hat Christian Jakob verfasst, sie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.