NATO im Osten: Deutschland schickt 6 Kampfjets
Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr: NATO hat «keinen Beitrag zur Deeskalation» geleistet / Ostukraine: Kiew meldet zwei entführte Soldaten / Medien: Regierungseinheiten sollen mit Panzern übergelaufen sein
Berlin. Deutschland wird sich zunächst mit einem Schiff und sechs Kampffliegern an der Verstärkung der NATO-Präsenz in den östlichen Bündnisstaaten beteiligen. Das bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Mittwoch in Berlin. Der Tender «Elbe» mit rund 45 Soldaten Besatzung soll von Ende Mai bis Anfang August ein Minenräum-Manöver in der Ostsee leiten. Bis zu sechs Kampfflieger vom Typ «Eurofighter» sollen sich ab September für vier Monate an der Luftraumüberwachung über dem Baltikum beteiligen. Ob Deutschland darüber hinaus zur stärkeren NATO-Präsenz im Osten als Reaktion auf die Ukraine-Krise beitragen wird, blieb zunächst unklar.
Die NATO hatte am Mittwoch eine Stärkung ihrer Streitkräfte in den osteuropäischen Mitgliedstaaten angekündigt. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte in Brüssel nach einem Treffen der Botschafter der 28 Mitgliedstaaten der Allianz, angesichts der Krise in der Ukraine würden die Kräfte an Land, zur See und in der Luft verstärkt. Falls nötig, werden in den kommenden Wochen und Monaten weitere Maßnahmen folgen.« Diese seien nach Angaben des militärischen Oberkommandeurs, des US-Generals Philip Breedlove, rein defensiv. »Die Maßnahmen (...) sollen unseren Verbündeten die Sicherheit geben, dass wir unseren Verpflichtungen zur gemeinsamen Verteidigung gerecht werden«, sagte er am Mittwoch in Brüssel. »Die Maßnahmen sind keine Bedrohung Russlands.« Die verstärkte Präsenz sei zunächst bis zum 31. Dezember dieses Jahres geplant. »Wir werden später prüfen, was wir dann tun.«
Breedlove sagte, »zahlreiche Nationen« hätten ihm Bodentruppen zum Einsatz angeboten. Er werde dazu in Kürze konkrete Entscheidungen treffen, die er den Bündnispartnern mitteilen werde. Auf die Frage, ob es sich bei den von der NATO beschlossenen Maßnahmen um den Versuch handele, einerseits die Verbündeten zu beruhigen, andererseits aber auch Russland gegenüber nicht übermäßig aggressiv aufzutreten, sagte er: »Das ist absolut korrekt.« Rasmussen sagte, die Schiffe würden »in die Ostsee, in das östliche Mittelmeer und nötigenfalls anderswohin« in Marsch gesetzt. Die Verteidigungspläne der NATO würden »überarbeitet und gestärkt«. »Wir werden mehr Flugzeuge in der Luft haben, mehr Schiffe im Wasser und wir werden auf dem Land eine erhöhte Bereitschaft haben«, sagte er. Vor Journalisten machte er keine Angaben zur Zahl der Soldaten, die in die östlichen NATO-Länder geschickt werden: »Es werden genug sein, um unsere Bereitschaft zu verbessern und um nötigenfalls für mehr vorzubereiten.« Der NATO-Rat reagierte mit der demonstrativen Entsendung von Militärs auf Bitten der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Polens und Rumäniens.
Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hat der NATO Versagen in der Ukraine-Krise vorgehalten. Das Bündnis habe vor der Krim-Krise »überhaupt keinen Beitrag zur Deeskalation« geleistet, sagte der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses im Sender Bayern2. »Die NATO hätte von Anfang an mit Russland verhandeln müssen, denn sie hat eine strategische Partnerschaft mit Russland«, sagte Kujat. Nach dem Grundlagenvertrag hätte der NATO-Russland-Rat einberufen werden müssen. Das sei nicht geschehen. »Es wird nun endlich Zeit, dass man sich zusammensetzt.« In Moskau gebe es große Bereitschaft für Verhandlungen. Diese könnten ein Erfolg werden, wenn der Westen klarstelle, dass die Ukraine kein NATO-Mitglied werde, sagte Kujat. Einen Militäreinsatz der NATO in der Ukraine hält Kujat für undenkbar. »Die NATO ist nicht in der Lage, die Ostukraine zu schützen oder den Zusammenhalt des Landes zu garantieren«, sagte er. »Ein NATO-Einsatz ist von vornherein auszuschließen.«
Ostukraine: Kiew meldet zwei entführte Soldaten
In der ostukrainischen Region Lugansk sollen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew zwei ukrainische Soldaten von prorussischen Aktivisten als »Geiseln« genommen worden sein. Ein Offizier und ein Soldat seien am Dienstag von »Extremisten« gefangen genommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden, erklärte das Ministerium am Mittwoch. Mehrere Einheiten der ukrainischen Streitkräfte seien an der Suche nach den beiden Militärs beteiligt. Kiew kündigte eine »harte Reaktion« auf derlei Angriffe auf ukrainische Soldaten an.
Derweil berichteten Medien, dass Regierungseinheiten mit mindestens zehn gepanzerten Fahrzeugen zu den prorussischen Separatisten übergelaufen seien. Ein Video des Portals espreso.tv zeigte am Mittwoch, wie die Truppen mit russischen Flaggen durch die Großstadt Kramatorsk rund 80 Kilometer nördlich von Donezk fuhren. Das russische Staatsfernsehen berichtete von ähnlichen Szenen im nahen Slawjansk. Den Berichten zufolge waren die Einheiten eigentlich zu einem »Anti-Terror-Einsatz« gegen die nach Moskau orientierten Aktivisten in der Gegend befohlen, liefen dann aber über. In Donezk nahmen Maskierte indes gewaltlos den Stadrat ein.
Die Lage im Osten der Ukraine ist unübersichtlich und höchst angespannt. Angesichts des Vorgehens prorussischer Kräfte hat die Regierung in Kiew Russland die Verbreitung von Terrorismus vorgeworfen. »Außer Öl und Gas exportiert Russland auch Terror in die Ukraine«, sagte Regierungschef Arseni Jazenjuk. Er forderte die Führung in Moskau auf, das Vorgehen der Aktivisten in der Ostukraine als »Terrorakte« anzuerkennen. Bei den für diesen Donnerstag geplanten Ukraine-Verhandlungen in Genf müsse Russland dies öffentlich einräumen und dann seine »Spionage- und Sabotagegruppen« zurückziehen. Moskau bestreitet jede Einmischung in die Unruhen im Nachbarland.
Vor dem geplanten Vierer-Treffen gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrer Hoffnung Ausdruck, durch den Ukraine-Gipfel könne es Impulse für eine Lösung am Verhandlungstisch geben. Das Gespräch könne ein »erster Schritt dazu (sein), wieder eine geordnete Situation in der Ukraine herzustellen«, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter. »Wir hoffen, dass es stattfindet, dass es eine Grundlage ist, dass es möglichst weitere Treffen gibt.« An dem Treffen nehmen die Außenminister aus Russland, der Ukraine und den USA sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton teil. Derweil lobte die Bundesregierung ausdrücklich das Vorgehen der ukrainischen Führung gegen prorussische Kräfte im Osten des Landes. »Aus unserer Sicht hat sich die ukrainische Regierung in dieser Krise bisher sehr besonnen und zurückhaltend verhalten«, sagte Streiter. »Klar ist, dass die ukrainische Führung natürlich die gewaltsame Übernahme von Polizeistationen oder andere Infrastruktur durch Gewalttäter nicht hinnehmen kann.« Merkel hatte am Dienstag aus ihrem Urlaub in Italien mit Putin telefoniert. Auf die Frage, ob Merkel ebenfalls einen Bürgerkrieg fürchte, sagte der Vize-Regierungssprecher: »Die Bundeskanzlerin hat kein Interesse an eskalierender Wortwahl. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.« Ihr Ziel sei, »dass es auf politischem Weg gelingt, die Lage in der Ukraine zu stabilisieren«.
Unterdessen warnte die EU vor einer Eskalation in der Ostukraine. »Die Entwicklung der nächsten Tage wird zeigen, was Russland tun wird, und dies könnte unzweideutige Reaktionen unserer Seite notwendig machen«, sagte am Mittwoch in Straßburg der Erweiterungskommissar Stefan Füle vor dem Europaparlament. Die Vierparteiengespräche seien »der bevorzugte Rahmen der EU«, um eine friedliche Lösung zu erreichen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok (CDU), forderte schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sollten Beobachterdelegationen mit vielen Mitgliedern in die Ukraine entsenden, um die Präsidentenwahl am 25. Mai zu beobachten. »Russland darf die Wahlen nicht behindern«, sagte er. Am Donnerstag stimmt das Parlament über eine fraktionsübergreifende Entschließung ab, in der die EU-Regierungen aufgefordert werden, rasch ein Waffen- und Techologie-Embargo gegen Russland durchsetzen. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.