Satzung, Strömung und Parteikultur

Welche Rolle haben die Zusammenschlüsse? Und brauchen sie stimmberechtigte Delegierte? Kurz vor dem Berliner Parteitag ist eine alte Frage wieder auf die Tagesordnung der Linken gerückt

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Kurz vor dem Berliner Parteitag der Linken rückt ein altes Thema wieder auf die Tagesordnung: die satzungsmäßigen Rechte der so genannten Zusammenschlüsse, also der wenn man so will: Fachgruppen und Strömungsvereine der Partei. Mit Blick auf das Delegiertentreffen im Mai kursiert ein Offener Brief im Internet, es wird vor zwei Anträgen gewarnt, die eine Statutenänderung begehren, welche, wären sie erfolgreich, nach Meinung der Verfasser des Offenen Briefs die Rechte der Zusammenschlüsse »elementar infrage stellen bzw. außer Kraft setzen« würden. Worum es geht? Im Kern um die Frage, ob und wenn ja mit welchem Stimmrecht die Zusammenschlüsse eigene Delegierte zu den Parteitagen entsenden können. Derzeit sind dies insgesamt maximal 50, je nach Größe kann ein Zusammenschluss zwei bis acht Delegierte wählen. In den Zusammenschlüssen sind derzeit rund 14.000 Mitglieder organisiert.

Der Landesverband Sachsen hat nun beantragt, dass die Zusammenschlüsse künftig zwar weiter Delegiertenmandate erhalten, auch mit beschließender Stimme, wobei aber Satzungs-, Finanz- und Personalfragen ausgenommen sind. Dies ist gewissermaßen ein Kompromiss, das Forum demokratischer Sozialismus geht noch einen Schritt weiter und will die Delegiertenmandate der Zusammenschlüsse generell auf beratende Stimmen beschränken. Es werden dafür einige Argumente ins Feld geführt - von den Befürwortern und von den Kritikern auf ganz unterschiedlichen Ebenen.

Einmal heißt es zum Beispiel demokratietheoretisch: Die Mitglieder der Zusammenschlüsse haben faktisch mehr Stimmgewicht auf einem Parteitag als »normale« Mitglieder, da diese ihre Delegierten nur in den Gliederungen bestimmen dürfen - während die in Zusammenschlüssen zusätzlich noch ihre Fach- und Strömungsdelegierten wählen können. Verwiesen wird auf das urdemokratische Prinzip von »One man (one women) one vote« - das durch die derzeitige Regelung verletzt wird.

Im Offenen Brief wird, auch das eine ernst zu nehmende Argumentationsebene, mit Blick auf Tradition gegen eine Änderung argumentiert: Man wolle eine Praxis beibehalten, »die in unserer Partei seit einem Vierteljahrhundert gut erprobt ist«. Außerdem würden die Zusammenschlüsse im Sinne von Pluralismus und Vielfalt wichtige Funktionen ausüben. Richtig ist: Die Linke befindet sich in einem lang anhaltenden Umbruch der mit dem »Zug der Fusion« im Jahr 2005 einsetzte und mit dem Generationswechsel an der Basis und in den Spitzenämtern immer mehr auch sichtbaren Ausdruck findet. Damit könnte auch etwas verloren gehen, das unmittelbar mit der Geschichte des einen Teils der Linkspartei zu tun hat - die Zurückeroberung fach- und strömungspolitischer Autonomie in der jungen PDS nach Jahrzehnten des autoritären Fraktionsverbots in der SED.

Darüber hinaus gibt es noch eine wenn man so will: parteikulturelle Argumentationsebene. Welche Rolle spielen die Zusammenschlüsse eigentlich gegenüber der Gesamtpartei, welche Macht haben sie, welchen Einfluss? Sollen sie eher eine »Beratungsfunktion gegenüber Partei und Bundesparteitag« ausfüllen, wie das Forum demokratischer Sozialismus es formuliert? Oder sollen sie »spezifische Interessen und Politikfelder der Partei« abbilden, wie es die Autoren des Offenen Briefs formulieren, wofür sie eine Stimme haben müssten. Es geht bei dieser Satzungsfrage nicht nur aber auch um die innere Kultur der Linkspartei, um Ressourcen und Macht, um die Frage, welche Form der - vor allem mit Blick auf die Strömungen - gewollte Pluralismus annehmen soll. Der, verstanden als das Gute, liegt »dem Schlechten sehr nahe: Strömungen agieren oft mit Blick auf die Verteilung von Ressourcen, sie sind Hebel innerparteilicher Macht. Manche sprechen von einer Parallelwelt, und immer wieder hat ihre Existenz zu Debatten geführt. Mal ging es um Besserwisserei, mal um Parteitagsmandate, mal um Geld«, so hat es der Autor vor vier Jahren einmal im »nd« formuliert. Zugespitzt formuliert: Wie stark sollen die »Parteien in der Partei« sein?

Im Sommer 2013, der Dresdner Parteitag der Linken hatte Anträge zur Änderung der satzungsmäßigen Rechte der Zusammenschlüsse aus Zeitgründen nicht mehr behandeln können, machten Kommunistische Plattform und die AG Betrieb und Gewerkschaft einen gemeinsamen Vorstoß. »Es geht um die Wahrung der Interessen der Zusammenschlüsse; mit anderen Worten: Es geht um die Bewahrung des pluralen Charakters unserer Partei«, hieß es da - und man verwies auf einen Offenen Brief an die Parteitagsdelegierten. In diesem wiederum wird auf einen Offenen Brief aus dem Jahr 2011 verwiesen, der vor dem Parteitag davor warnte, genau: die Delegiertenrechte der Zusammenschlüsse zu ändern - er konnte aber in Erfurt nicht behandelt werden, aus Zeitgründen. Nun könne man sagen, auch das ist eine Form, eine strittige Angelegenheit auszusitzen. Oder die Linkspartei nimmt sich nun doch einmal die Zeit und lässt ihre Delegierten darüber abstimmen. Und darüber diskutieren, denn so trocken und machtpolitisch sich die Sache zunächst anhört, ist sie ja gar nicht. Seit langem wird über die Rolle vor allem der strömungspolitischen Zusammenschlüsse diskutiert, diese haben Auseinandersetzungen in der Linken befördert, welche nicht immer im Interesse der Gesamtpartei waren, um es vorsichtig zu formulieren.

Vor ziemlich genau zwei Jahren meinte Benjamin Hoff, der damals noch Sprecher des Forums demokratischer Sozialismus war, es sei »Zeit, über Strömungen zu reden. Darüber was sie tun sollten – und was nicht.« Strömungen könnten »zu Klarheit im Diskurs beitragen« und weil sie konzentrierter Ausdruck einer Vielfalt sind, »durch politische Kompromisse zu einem letztlich für die gesamte Partei akzeptablen Ergebnis beitragen«, so Hoff damals. »Die Hybris freilich einiger Strömungsakteure«, schrieb er weiter, durchaus auch in selbstkritischer Absicht was Mitglieder des Forums demokratischer Sozialismus betraf, »am ganz großen innerparteilichen Rad zu drehen und durch den Einsatz des taktischen Instrumentenkastens, die Geschicke der Partei zu bestimmen, ist nicht nur selbstüberschätzend, sondern erstickt die Lebhaftigkeit der Partei durch Proporzdenken, mehr oder weniger vorausgesetzte Fraktionsdisziplin und alleiniges Denken in den Kategorien der Mehrheitssicherung.«

Es liegt ein Gedanke darin, den Linke überhaupt ernst nehmen sollten: Parteien funktionieren wie Parteien. Politische Teilhabe lief in der Vergangenheit maßgeblich über Parteipolitik. Doch das ändert sich. Und wenn Parteien als Organisationen weiterhin Magnet und Übersetzungsgetriebe für politische Forderungen, für Engagement im Kleinen wie im Großen, für eine attraktive politische Alltagskultur sein wollen, müssen sie auch darüber reden, welche Funktion vor allem die dominanten (es sind ja nicht alle gleich) Zusammenschlüsse haben - und künftig haben sollen. »Politische Parteien sind nicht notwendig ›strömungsrein‹. Meist umfassen sie eine hegemoniale politische Grundströmung und Teile anderer Strömungen. Dies ist für das Wirken der Partei nützlich und sinnvoll, da sie ein Stück der notwendigen äußeren Koordination bereits intern vorwegnimmt und die gesellschaftliche Kraft der Partei so erhöht«, hat Christoph Spehr vor ein paar Jahren einmal geschrieben. Die Frage, ob diese Nützlichkeit ein Stimmrecht auf Parteitagen verlangt, ist gestellt. Gibt es diesmal eine Antwort?

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