Scharfsichtiger Freigeist - hüben wie drüben
Der Dirigent, Wissenschaftler und Publizist Peter Gülke wird 80 - und bekommt den Ernst von Siemens Musikpreis
Es gibt nur noch wenige von dieser musikalischen Universalität: Peter Gülke ist Musiker, Dirigent, Musikwissenschaftler, musikalischer Publizist. Vor 80 Jahren, am 29. April 1934, in Weimar geboren, studierte er dort Violoncello, Dirigieren und Musikwissenschaft. Später, in Jena und Leipzig, belegt er Germanistik, Romanistik und Philosophie. Allein diese Studien spannen einen weiten geistigen Horizont.
Gleichzeitig beschäftigen den jungen Gülke unaufgelöste aufführungspraktische Fragen. Zum einen hebt, seinerzeit unüblich, seine Konzerttätigkeit mit Musik des Mittelalters und der Renaissance an, andererseits geben mehrere Bücher aus seiner Feder grundlegende Reflexe auf diese Epochen wieder. In den frühen Siebzigern erscheinen »Das Schriftbild der mehrstimmigen Musik«, »Musik des Mittelalters und der Renaissance« und »Mönche, Bürger, Minnesänger. Musik in der Gesellschaft des europäischen Mittelalters«. Bücher, freigeistig und scharfsichtig formuliert. Studenten, Musiker und sonstige Interessierte haben derlei hochwertiges, mit neuen Erkenntnissen aufwartenden Schriftgut seinerzeit regelrecht aufgesogen.
Als Dirigent erklimmt Gülke Sprosse um Sprosse. Seit 1959 leitet er die Bühnenmusik an verschiedenen DDR-Theatern. Alsdann wird er Chefdirigent in Stendal, Potsdam und Stralsund, 1976 Kapellmeister an der Staatsoper Dresden (mit gleichzeitiger Lehrtätigkeit an der dortigen Musikhochschule). Endlich kehrt der hochgescheite Künstler und Wissenschaftler 1981 zurück nach Weimar. Die Stadt ernennt ihn zum Generalmusikdirektor, was nicht etwa Glückseligkeit verspricht, sondern sich verschärfende Kontroversen mit den Musikbehörden, die ihm offenbar das Leben schwer gemacht haben.
1983 verlässt Gülke, angewidert vom engherzigen, Neues in den Wind schlagende Strebertum der Provinz, die DDR und versucht sein künstlerisch-publizistisches Glück in der Bundesrepublik. Gülke dirigiert, publiziert auch dort, ohne je Brücken schlagen zu müssen. Von 1986 bis 1996 ist er Generalmusikdirektor der Stadt Wuppertal und leitet bis 2000 die Dirigentenklasse an der Staatlichen Hochschule für Musik Freiburg. Seit 1992 arbeitet er im Dirigentenforum des Deutschen Musikrats mit. Er leitet zahlreiche Dirigentenkurse in Deutschland, Österreich, Finnland, Frankreich, England, den USA.
Als Gast dirigiert er Opernaufführungen (Mozart, Wagner u.a.) in vielen bedeutenden Häusern und Konzerte in fast allen europäischen Ländern, in Japan und in den USA. Zudem erarbeitet Einspielungen auf Schallplatte und CD. Auch für Neue Musik setzt Gülke sich ein. Etliche Uraufführungen zeugen davon.
Zu seinen jüngeren Publikationen zählt das Buch »Auftakte - Nachspiele« (2006). Auch darin steuert Gülke Profundes zur Theorie und Praxis der musikalischen Interpretation bei - eine Fundgrube für jeden, dem gute Musik zur zweiten Natur geworden ist. Allemal wegen seiner stupenden Gesamtinitiative - widersprüchlich mitgeprägt unter DDR-Musikverhältnissen - wird Peter Gülke am 24. Mai in München mit dem Ernst von Siemens Musikpreis für ein Leben im Dienste der Musik geehrt werden. Eine Auszeichnung, die er sich redlich verdient hat.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.