Es geht nicht nur ums Chlorhuhn
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik stellt ihr »Memorandum 2014« vor
Sprudelnde Steuereinnahmen - an diesen beiden Worten kommt man in letzter Zeit nicht vorbei. Wenn es um die Wirtschaftslage Deutschlands geht, kommen sie in den meisten Medien mindestens genauso häufig vor, wie das Wort »Rekordbeschäftigung«. Dabei dürfte die Nachricht nur für Menschen ohne Langzeitgedächtnis noch eine Sensation sein. Denn in 58 von 64 Jahren waren in der Bundesrepublik »Rekordsteuereinnahmen« der Normalfall. Der Grund ist einfach: Weil die Preise in der Regel steigen und die Arbeitnehmer zumindest nominal meist auch mehr Geld verdienen, steigen fast jährlich auch automatisch die Einnahmen des Staates.
Wirklich gut geht es den öffentlichen Finanzen trotzdem nicht. Für Heinz Bontrup von der Arbeitsgruppe »Alternative Wirtschaftspolitik« haben die letzten Regierungen in der Steuerpolitik sogar »völlig versagt«. Bereits jetzt bestehe »ein staatlicher Notstand innerhalb der Infrastruktur«. So geht selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren rund 120 Milliarden Euro in die öffentliche Infrastruktur investiert werden müssen.
»Notwendig ist eine umfassende Steuerreform, die die öffentlichen Haushalte stärkt«, verlangt deshalb Mechthild Schrooten, die auch in der Arbeitsgruppe »Alternative Wirtschaftspolitik« mitarbeitet. Sie und Bontrup stellten am Montag das »Memorandum 2014« vor. Wie die Memoranden in den Jahren zuvor, soll es ein Gegengutachten zur jährlichen Prognose der sogenannten fünf Wirtschaftsweisen darstellen.
Schrooten zufolge könnten eine Vermögenssteuer und -abgabe ebenso wie ein Altschuldentilgungsfonds für die Bundesländer »Wunder wirken und Spielräume für einen nachhaltig soliden Staatshaushalt schaffen«. Dabei behandeln sie in der diesjährigen Ausgabe ihres Memorandums nicht nur das Thema der Staatsfinanzen: Sie widmen zum Beispiel auch der europäischen Bankenregulierung ein Kapitel, die Schrooten für eine »immense Zeitverschwendung« hält, da sie viel zu verspätet und nur sehr halbherzig umgesetzt werde.
Denn am neoliberalen Paradigma der vorherrschenden Politik hat sich in Europa in den letzten Jahren nichts geändert, so könnte man die Botschaft der Arbeitsgruppe zusammenfassen. Oder, um es mit Schrootens Worten zu sagen: »Man sucht jetzt neue Mechanismen, wie man die Umverteilung von unten nach oben auch nach der Finanzkrise von 2008 sichern kann.«
Das Problem, das man der Arbeitsgruppe zufolge hierzulande hat, ist nur, dass der Wohlfahrtsstaat schon so weit abgebaut wurde, dass man nicht mehr viel zum Umverteilen hat. Den neuesten Angriff auf die Arbeitnehmerschaft sehen Bontrup und Co. stattdessen im geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA.
Schließlich geht es dabei nicht nur um das sogenannte Chlorhuhn. »Die Gewerkschaften müssten dagegen Sturm laufen«, meint Bontrup. Er sieht nämlich die Gefahr, dass die Arbeitnehmerschaft und die Gewerkschaften etwa in Sachen Arbeitermitbestimmung weiter in die Defensive gedrängt werden. Die Unternehmen hingegen würden TTIP wahrscheinlich dafür nutzen, um Arbeitsschutzstandards abzusenken, um so Kosten zu sparen und Extragewinne einzufahren.
Die Arbeitsgruppe sieht statt des Freihandelsabkommens höhere Löhne und »intelligente Formen von Arbeitszeitverkürzungen« als Weg aus der Krise. Denn nicht nur der Reichtum, sondern auch die Arbeitszeit ist hierzulande weiter sehr ungleich verteilt.
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: Memorandum 2014, Papyrossa Verlag, 17,90 Euro
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