Planspiele zu Alstom

Der französische Anlagenbauer als Übernahmeobjekt oder Teil eines EU-Energiekonglomerats

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
In Frankreich streitet die Politik, was mit dem Alstom-Konzern geschehen soll. Derweil hat Konkurrent Siemens ein Übernahmeangebot eingereicht.

Als Alstom-Chef Patrick Kron am vergangenen Freitag die Absicht bekannt machte, die Energiesparte des Konzerns noch am Wochenende an den US-Konzern General Electric (GE) zu verkaufen, hatte er offensichtlich vor allem eines im Sinn: die französische Regierung zu überrumpeln. Die von GE in Aussicht gestellte Kaufsumme von zehn Milliarden Euro könnte Alstom gut gebrauchen, um seinen defizitären Transportbereich zu sanieren und auf internationale Konkurrenzfähigkeit zu trimmen. Doch das Blitzmanöver wurde von Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg durchkreuzt, der Kron zu »Konsultationen mit der Regierung« aufforderte und ihm »Mangel an nationaler Deontologie« (Pflichtethik) vorwarf.

Das war noch recht diplomatisch formuliert. Schließlich lebt Alstom vorwiegend von Staatsaufträgen und entging 2003 nur deshalb knapp der Pleite, weil die Regierung den Konzern mit öffentlichen Mitteln stützte und zeitweilig nationalisierte. Jetzt kam der Regierung gelegen, dass auch der Siemens-Konzern sein Interesse bekundete. Präsident François Hollande empfing daraufhin am Montag nacheinander die Konzernchefs von General Electric, Siemens und Alstom im Elysée-Palast. Die Regierung will offensichtlich Zeit gewinnen und nach einer Lösung suchen, bei der ein Maximum an Arbeitsplätzen in Frankreich erhalten bleibt. Während die Unternehmensstrukturen von GE und Alstom einander eher ergänzen, käme es bei einer Fusion der Energiebereiche von Siemens und Alstom zu Überschneidungen, so dass mit der Schließung überzähliger Standorte zu rechnen wäre. Diese Befürchtungen konnte Siemens auch nicht mit der Zusicherung zerstreuen, dass in den nächsten drei Jahren keine Arbeitsplätze abgebaut würden.

Alstom zählt weltweit 93 000 Mitarbeiter, davon 18 000 in Frankreich. Von den Aktivitäten entfallen 30 Prozent auf die Transporttechnik (»TGV«) und 70 Prozent auf den Energiebereich, der von Turbinen und Windrädern bis hin zu Kernreaktoren reicht. Siemens könnte den zukunftsträchtigen Energiebereich kaufen und dafür seine mit Problemen kämpfende Eisenbahntechnik an Alstom abgeben - ohne den lukrativen Bereich U-Bahn-Bau. Das käme der kürzlich von Hollande vorgetragenen Vision eines mit Airbus vergleichbaren europäischen Konzerns in der Energietechnik nahe, wobei Frankreich aber wieder einmal den Kürzeren ziehen würde.

Für den Ökonomieprofessor Elie Cohen sind die Manöver um Alstom »ein Symbol für den industriellen Niedergang Frankreichs«. Die Parteien links der regierenden Sozialistischen Partei warfen der Regierung vor, sie werfe derzeit den Unternehmern mit Hollandes »Verantwortungspakt« 30 Milliarden Euro an Steuer- und Abgabenkürzungen in den Rachen, und diese dankten es mit einer Brüskierung von Präsident und Regierung wie jetzt Alstom. Die Kommunistische Partei forderte eine »nationale Lösung« für den Konzern, um zu verhindern, dass Arbeitsplätze vernichtet werden und Technologien ins Ausland abwandern. Eine Entscheidung zwischen GE und Siemens wäre »nur wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera«. Der Generalsekretär der Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, forderte eine zeitweilige Teilnationalisierung wie 2003 - schon damals sei dies zum Nutzen der Steuerzahler gewesen, denn der Staat verkaufte drei Jahre später seine Alstom-Anteile mit beachtlichem Mehrwert.

Wann eine wie auch immer geartete Entscheidung fallen wird, ist derzeit noch unklar. Alstom hatte zuletzt angekündigt, bis Mittwochmorgen über einen möglichen Verkauf zu beschließen. Eine für Dienstagabend anberaumte Verwaltungsratsitzung werde aber wohl »nicht abschließend« sein, berichtete die Zeitung »Le Monde« unter Berufung auf mehrere Quellen. Auch der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) steht seit dem Wochenende regelmäßig in telefonischem Kontakt mit seinem Amtskollegen Montebourg - wohl um das Siemens-Angebot zu unterstützen. Dessen Aufsichtsrat gab am Dienstag grünes Licht für eine Übernahmeofferte. Ein konkretes Angebot sei aber noch nicht beschlossen worden, berichtete das »Handelsblatt«. Zunächst sollten noch die Alstom-Bücher geprüft werden.

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