Münchner Klagelied
Für den FC Bayern ist das Halbfinalaus gegen Real Madrid die erste wirkliche Niederlage seit zwei Jahren
Liebe kennt keine Grenzen. Das gilt auch sehr oft für die Beziehung von Fußballfans zu ihren Vereinen. Einige Anhänger des FC Bayern aber sind vermutlich noch immer froh, am Dienstagabend dem Lockruf ihrer Münchner Lieblinge widerstanden zu haben. Vor dem Halbfinalrückspiel der Champions League gegen Real Madrid trieb der Schwarzmarkt in Fröttmaning wilde Blüten: Der Mindesteinsatz für ein Ticket für die verheißungsvoll rot strahlende Arena betrug 250 Euro. Wahre Leidenschaft zeigten jene, die einen vierstelligen Betrag aufgebracht hatten.
Ob nun Geld, Gefühle oder beides: Am Ende eines denkwürdigen Fußballabends mussten sich einige um ihre Investitionen betrogen fühlen. Nicht, weil es dem FC Bayern nicht gelungen war, das 0:1 aus dem Hinspiel noch zu seinen Gunsten zu drehen. Auch nicht, weil die Münchner Fußballer auch das Rückspiel verloren hatten. Und ebenfalls nicht, weil das 0:4 (0:3) die bislang höchste Heimniederlage des Klubs in der Königsklasse überhaupt war. Sondern weil dabei etwas ganz Entscheidendes gefehlt hatte: »Wir haben zu wenig Leidenschaft in die Waagschale gelegt, um den Gegner damit zu beeindrucken«, sagte ein sichtlich mitgenommener Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern.
Mit ganz wenigen Ausnahmen hatten sich die Münchner Spieler nahezu apathisch über den Rasen bewegt. Gefährlich wirkten allenfalls die Querschläger von Torwart Manuel Neuer. Die erste Torchance des FC Bayern hatte Arjen Robben nach 57 Minuten, bezeichnenderweise nach einer Einzelaktion – der Ball strich knapp am Pfosten vorbei. Wie in dieser Situation wurde Madrids Torwart Iker Casillas über die gesamten 90 Minuten nie vor eine ernsthafte Prüfung gestellt.
Immerhin war den Münchner in der zweiten Halbzeit ihre eigene Harmlosigkeit dermaßen zu wider, dass sie nach Robbens Torschussversuch noch den ein oder anderen wagten. In der gesamten ersten Halbzeit hatte nur ein einziger Ball die Richtung des Madrider Tores gefunden. Leblos blieb das Spiel des FC Bayern aber bis zum Abpfiff. Selbst mit dem sonst traumwandlerisch sicher vorgetragenen Ballbesitzspiel taten sich die Münchner schwer. Es fehlten Bereitschaft, Dynamik und überhaupt eine Idee.
Für spontane Eingebungen oder geniale Momente sind die Spieler auf dem Platz verantwortlich. Für den ganz großen Plan, die Idee vom Spiel ist es der Trainer. Also nahm Pep Guardiola die ganze Schuld auf sich: »Wir haben schlecht gespielt, das ist meine Verantwortung, da habe ich mich vertan.« Nach dem 0:1 im Hinspiel war der Münchner Trainer noch zufrieden, weil seine Mannschaft »das Spiel kontrolliert« hatte. Aber auch in Madrid hatte der FC Bayern München Real nicht wirklich in Gefahr bringen können und war zu einer Torchance, kurz vor Spielende, gekommen.
Nach insgesamt 180 Minuten in diesem Halbfinalduell darf getrost festgestellt werden: Real Madrid hat ohne jeden Zweifel verdient das Finale am 22. Mai in Lissabon erreicht – das erste seit zwölf Jahren für diesen stolzen Klub. Und genau diese Sehnsucht trieb die Königlichen an. Gier und kompromisslose Entschlossenheit führten zu ersten beiden Toren in München: Innenverteidiger Sergio Ramos warf sich jeweils nach zwei Standardsituation mit aller Macht in die Zweikämpfe und erzielte beide Treffer per Kopf. Das 0:3 nach gut einer halben Stunde zeugte von der Zielstrebigkeit: Einen der vielen präzise und schnell gespielten Konter vollendete Cristiano Ronaldo. Den Schlusspunkt in der 90. Minute setzte ebenfalls der Weltfußballer als er einen Freistoß unter der Mauer hindurch im Netz versenkte. »Wir sind bereit für das Finale«, sagte der Portugiese. Das waren die Madrilenen auch schon davor.
»Wir hatten uns viel vorgenommen, aber haben bei zwei Standardsituationen nicht aufgepasst«, sollte Philipp Lahm später sagen. Dabei wirkte der Kapitän des FC Bayern ähnlich hilflos wie zuvor auf dem Platz. In München sollte man kein Klagelied über die Gegentore anstimmen: Der FC Bayern war in beiden Halbfinalspielen chancenlos. Aber Lahm, konsterniert und fassungslos wie alle Münchner am Dienstagabend, ist eben auch nur ein Mensch. Und wie soll man reagieren, wenn man das verlieren verlernt hat? Das Halbfinalaus ist die erste wirkliche Niederlage für den Triple-Sieger seit fast zwei Jahren. Die Münchner Fans hatten das nach dem schnellen und hohen Rückstand schon in der ersten Halbzeit etwas schneller verarbeitet. Unaufhörlich sangen sie: »Es ist wahre Liebe.« Und Leiden gehört nun mal auch dazu.
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