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Es gibt riesigen Nachholbedarf

Liz Frank und Elizabeth Khaxas über Frauenrechte und die Lebensrealität in Namibia

  • Lesedauer: 5 Min.
Elizabeth Khaxas steht seit den achtziger Jahren an vorderster Front der feministischen Frauenbewegung in Namibia. Sie ist Mitgründerin des Sister Namibia Magazins, und entwickelte dort als Leiterin die feministische Bildungsarbeit mit lesbischen Frauen. In den letzten zehn Jahren setzt sie diese Arbeit in der von ihr gegründeten Organisation Women’s Leadership Centre fort. Ihre Partnerin Liz Frank ist seit über 20 Jahren in der Frauenbewegung in Namibia aktiv, als Journalistin und Beraterin zur Frauen- und Genderthematik, und als Mitarbeiterin im Women’s Leadership Centre. Mit ihnen sprach für »nd« Martin Ling.

nd: Die Verfassung von Namibia ist relativ neu, stammt aus 1990, dem Jahr der Unabhängigkeit. Sind dort gleiche Rechte für Frauen und Männer festgeschrieben?

Liz Frank: Ja. Es ist in neueren Verfassungen üblich, dass vor dem Gesetz Männer und Frauen gleichgestellt sind und generell keine Diskriminierung anhand des Geschlechts, der Rasse oder der Religion zulässig ist. Unglücklicherweise ist die namibische Verfassung nicht so weitgehend wie die südafrikanische von 1996, die explizit auch die sexuelle Orientierung erwähnt und die Diskriminierung auch auf dieser Grundlage verbietet.

Die Realität in Südafrika, die sich hier in den Medien darstellt, sieht aber anders aus: Gewalt gegen Frauen allgemein und Lesben speziell ist an der Tagesordnung ...

LF: Das stimmt. Verfassungen ändern nicht die Gesellschaft. Sie sind nur der erste Schritt, auf dem sich aufbauen lässt. Und in den letzten 20 Jahren hat die südafrikanische Regierung sehr wenig getan, um die Bevölkerung über Menschenrechte für alle ohne Ansehen der Personen aufzuklären. Südafrika ist generell eine sehr gewalttätige Gesellschaft und vermutlich das Land mit der weltweit höchsten Vergewaltigungsrate. Diese Übergriffe treffen auch Lesben, wobei eine besondere Brutalität zu vermerken ist.

Wie steht es um Gewalt gegen Frauen in Namibia?

LF: Wir sehen hier ähnliche Tendenzen. Gewalt gegen Frauen in der Ehe, gegen Frauen, die sich trennen wollen, ist alles andere als selten. Allein im Januar/Februar 2014 wurde ein Dutzend Frauen brutal von ihren Ehemännern/Partnern ermordet. In Namibia nimmt die Gewalt gegen heterosexuelle sowie lesbische Frauen zu, weil sie sexuelle Selbstbestimmung reklamieren, womit viele Männer nicht klarkommen.

Die Verfassung ist das eine. Wie steht es um konkrete Gesetze zum Schutz von Frauen vor Gewalt?

LF: Die Gesetze in Namibia sind sehr progressiv und zielen auf Gleichheit. Es gibt auch explizite Gesetze, die gegen Vergewaltigung und häusliche Gewalt gerichtet sind, und die Eltern eine Unterhaltspflicht für ihre Kinder auferlegen. Und es gibt die sogenannte positive Diskriminierung, mit der bestimmte Gruppen wie Schwarze allgemein und schwarze Frauen speziell bei der beruflichen Einstellung bevorzugt werden können. Die Gesetze sind recht positiv, wenn man davon absieht, dass Gleichstellung in der Ehe nur in der zivilrechtlichen Ehe geschützt ist, und nicht in der Ehe unter Gewohnheitsrecht, wie sie in ländlichen Gebieten üblich ist. Deswegen gibt es in einigen Gebieten durchaus noch Polygamie, und manche Männer bezahlen einen hohen Brautpreis an die Familie ihrer Frauen, was auch zu dem Denken führt, dass Männer Frauen besitzen und damit das Recht haben, Gewalt gegen sie auszuüben.

Wie steht es um die Entwicklung bei der Bildung? Bildung ist ja ein Schlüssel für Entwicklung …

LF: Es gibt Licht und Schatten. Obwohl viele neue Schulen gebaut wurden, mangelt es an qualifizierten Lehrkräften. An den Schulen ist ab der vierten Klasse Englisch die Unterrichtssprache, womit viele Lehrkräfte noch Schwierigkeiten haben, und es fehlt an den meisten Schulen an Bildungsmaterial. So verlassen Jahr für Jahr rund 50 Prozent die Mittelschule (zehnte Klasse) ohne Abschluss. Für sie gibt es viel zu wenig Berufs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. So wird die nächste nur halb alphabetisierte Generation herangezogen, die keine Zukunft hat. Wir sitzen auf einer Zeitbombe. 50 Prozent der Bevölkerung sind unter 18 Jahre. Selbst die Regierung gesteht ein, dass das Bildungssystem in der Krise ist, und sagt Jahr für Jahr, dass alles auf den Prüfstand kommt und geändert wird.

Positiv ist die Schulbeteiligung der Mädchen: Mehr Mädchen als Jungen schließen inzwischen die Grundschule sowie die höhere Schule ab. Auch im Universitätssektor sind Frauen in allen Fächern in der Mehrzahl außer im Ingenieurwesen und ein paar Naturwissenschaften. Die Frauen haben definitiv aufgeholt, haben dank besserer Bildung bessere Jobchancen. Die allgemeine Lage ist freilich alles andere als rosig: 30 Prozent Arbeitslosigkeit, 50 Prozent leben in Armut. Und von der allgemeinen Armut sind Frauen auch in Namibia stärker betroffen als Männer.

Was ist ihr Ansatz beim Women's Leadership Centre (WLC), um Frauenrechte zu stärken?

Elizabeth Khaxas: Wir betreiben feministische Bildungsarbeit mit drei Gruppen von jungen marginalisierten Frauen: Frauen in der Zambeziregion, die vom Gewohnheitsrecht und schädlichen traditionellen Praktiken stark betroffen sind, lesbische Frauen, und junge Frauen aus den verschiedenen Sangruppen in Namibia, Südafrika und Botswana (Urbevölkerung des südlichen Afrika).

Die Situation von Frauen in Namibia unterscheidet sich stark anhand der ethnischen Zugehörigkeit, weil unterschiedliche Traditionen einen Einfluss darauf haben, wie Frauen ihr Leben gestalten können. So leben zum Beispiel über 50 Prozent der Frauen in der Zambezi Region mit HIV/Aids, da die Krankheit durch traditionelle sexuelle Rituale übertragen wird, an denen viele junge Mädchen schon teilhaben müssen. Dies führt auch zu Frühschwangerschaft und Schulabbruch unter jungen Frauen.

Wir versuchen auch Stammesführer davon zu überzeugen, die gesetzlich verankerten Frauenrechte in ihren Gemeinden umzusetzen. Kulturelle Veränderung ist ein langwieriger Prozess, den die Frauen selbst in die Hand nehmen müssen. Für unsere Bildungsarbeit in der Zambeziregion erhalten wir Unterstützung von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wofür wir dankbar sind. Denn der Bedarf ist riesig.

Wie steht es um die San-Frauen?

EK: Die San sind die Ärmsten der Armen in Namibia. Sie haben den geringsten Zugang zu Gesundheit, Bildung, politischer Beteiligung und Justiz. Viele sind alkoholabhängig, sowohl Männer als auch Frauen, weil sie keine Zukunft für sich sehen. Wir versuchen die jungen Frauen darin zu bestärken, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und die Führung in ihren Gemeinden zu übernehmen. Sie beginnen jetzt, Schritt für Schritt ihre Rechte einzufordern, zum Beispiel ihr Recht auf Bildung und auf Schutz vor Gewalt. Ein Polizist, der eine junge Sanfrau nach einem unserer Workshops vergewaltigt hatte, muss sich nach langem Hin und Her nun einer Strafverfolgung stellen. Wandel ist möglich, wenn junge Frauen ihre Rechte kennen und gemeinsam dafür einstehen.

Ein besonderes Augenmerk widmen Sie in ihrer Arbeit auch Lesben. Was genau ist der Schwerpunkt?

Wir unterstützen zusammen mit Solidaritätsdienst-international (SODI) junge lesbische Frauen dabei, herrschende Geschlechtskonstruktionen zu hinterfragen, ihre Rechte zu verstehen und sich zu vernetzen. So können sie Widerstandskraft für den Alltag entwickeln. Das ist bitter notwendig.

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