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Angst vor einem Gespenst
Tilman Loos über das Stimmrecht der Strömungen in der Linkspartei
Das Spektrum der Zusammenschlüsse in der LINKEN ist groß. Addiert haben die anerkannten Zusammenschlüsse inklusive Mehrfachmitgliedschaften etwa 14 000 Mitglieder. Grob genommen gibt es zwei Sorten von Zusammenschlüssen: einerseits thematische, also Bundesarbeitsgemeinschaften, und andererseits Strömungen. Anerkannt sind derzeit fünf Strömungen sowie 22 thematische Zusammenschlüsse. Daneben existieren zudem 15 thematische Zusammenschlüsse sowie zwei Strömungen, die - noch - nicht anerkannt sind. Zweifelsfrei sind sie eine Bereicherung für unsere Partei. Thematische Zusammenschlüsse erweitern ihre Kompetenz in einzelnen Politikfeldern, sind Bindeglied »nach außen«. Strömungen spiegeln die verschiedenen Politikansätze unserer pluralen Mitgliedschaft wider. Und sie stoßen Debatten an.
Für große Aufregung sorgt neben einem Antrag des Forums demokratischer Sozialismus nun ein Antrag des Vorstandes des sächsischen Landesverbandes für den Bundesparteitag an diesem Wochenende. Demzufolge sollen die Delegierten der Zusammenschlüsse zukünftig zwar noch bei klassischen inhaltlichen Anträgen mitentscheiden können, jedoch kein aktives Stimmrecht mehr bei Finanz- und Satzungsfragen sowie bei Wahlen haben. Manche Diskussionsbeiträge zu diesem Thema klingen, als solle den Zusammenschlüssen durch diese Änderung ihre Stimme geraubt werden. Die Kommunistische Plattform schreibt in einem von vielen anderen Zusammenschlüssen unterschriebenen Offenen Brief, die vorliegenden Anträge würden »die Rechte der Zusammenschlüsse elementar infrage stellen bzw. außer Kraft setzen«. Das ist mitnichten der Fall.
Zusammenschlüsse genießen in der Linkspartei viele Rechte. Sie verfügen allein auf Bundesebene in der Regel über eigene SprecherInnenräte, Haushaltsmittel und Antragsrechte. Hinzu kommen die stimmberechtigten Mitglieder im Bundesausschuss und die Delegierten zum Bundesparteitag. Dass sich Letzteres nun ändern könnte, muss man nicht gut finden. Aber davon zu sprechen, »die Rechte« der Strömungen würden »außer Kraft gesetzt«, ist mindestens eine mittelschwere Übertreibung.
Worum es eigentlich geht, sind streng genommen nicht nur bestimmte Rechte, sondern Privilegien: Die Partei setzt sich aus ihrer Mitgliedschaft zusammen und soll auf Bundesparteitagen repräsentiert werden. Zusammenschlüsse jedoch stellen noch einmal zehn Prozent der Zahl von Delegierten der territorialen Gliederungen. Damit kommt jenen Mitgliedern, die in einem Zusammenschluss organisiert sind, das Privileg der doppelten Stimmabgabe zu. Und dadurch hat jedes Mitglied eines Zusammenschlusses faktisch auch eine höhere Repräsentanz auf dem Parteitag gegenüber Mitgliedern, die in keiner Strömung oder keinem Zusammenschluss organisiert und damit auch nicht »mehrfach vertreten« sind.
In ihrem Offenen Brief argumentiert die Kommunistische Plattform vor allem bezogen auf das passive Wahlrecht, also die doppelte Möglichkeit, sich selbst als Delegierte wählen zu lassen. Sie lässt aber das viel relevantere höhere Gewicht der eigenen Stimmabgabe außen vor. Es kann gute Gründe für Privilegierungen geben, an dieser Stelle erschließt sich die Notwendigkeit für ein volles Stimmrecht der Delegierten der Zusammenschlüsse jedoch nicht. Wer sagt, den Zusammenschlüssen würde durch eine Neuregelung die Stimme geraubt, übertreibt daher erheblich. Dass die Delegierten der Zusammenschlüsse selbst ihre Stimme bei bestimmten Entscheidungen nicht mehr abgeben können, macht sie nicht stumm. Sie können weiter ihre Stimme erheben und »gehört werden«. Das trifft insbesondere auf die Strömungen zu.
Vermutlich ist es egal, ob die jeweilige Strömung keine, vier oder acht Delegierte hat, schließlich sind in der Parteipraxis nicht die durch die Strömung direkt gewählten Delegierten entscheidend. Wer schon einmal ein Strömungstreffen vor einem Parteitag besucht hat, dem ist bekannt, dass da keineswegs nur die zwei oder vier Strömungsdelegierten sitzen, sondern bisweilen über 200 Delegierte. Ihren Einfluss sichern sich Strömungen ganz gewiss nicht über ihre jeweils an einer Hand abzählbaren »eigenen« Delegierten. Wer Angst hat, den Strömungen würde durch eine der vorgeschlagenen Neuregelungen Stimme und Einfluss geraubt, hat Angst vor einem Gespenst. Denn wenn es in dieser Partei irgendjemanden gibt, der mit Sicherheit nicht Gefahr läuft, überhört zu werden, dann sind es unsere Strömungen.
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