Wie weich wird Joachim Löw?
Der Fußball-Bundestrainer wollte einen fitten WM-Kader präsentieren, doch er wird wohl einige Langzeitverletzte nominieren
Manche Reiseroute der vergangenen Wochen klang abenteuerlich: heute Madrid, morgen Frankfurt, übermorgen Genua, zwischendurch noch Dortmund. Joachim Löw ist viel herumgekommen, daher schmunzelt der Bundestrainer auch darüber, wenn ihm mal wieder vorgehalten wird, er beobachte das Geschehen vorzugsweise aus dem baden-württembergischen Raum. Natürlich inspiziert der badische Ästhetiker den laufenden Ligabetrieb lieber aus Freiburg oder Stuttgart als aus Wolfsburg oder Bremen, trotzdem entgeht ihm dabei nichts.
So sah er, wie Real Madrid auf dem Weg ins Champions-League-Finale den Fixsternen des deutschen Fußballs das Fürchten lehrte. Nacheinander sind der FC Schalke 04, Borussia Dortmund und auch der FC Bayern München an der körperlichen Wucht der königlichen Spanier zerschellt, und natürlich war der oberste Fußballlehrer des Landes im Estadio Santiago Bernabeu wie auch in der Allianz-Arena dabei. Was Löw imponierte, waren weniger illustre Namen, sondern höchste Geschwindigkeit, fortwährendes Tempo, nimmermüde Bereitschaft, beste Fitness.
Dieser weite Bogen ist notwendig, um den 54-Jährigen bei seinen aktuellen Gedankenspielen zu verstehen. Seit Montag tauschen sich Löw, sein Assistent Hansi Flick, Torwarttrainer Andreas Köpke und Chefscout Urs Siegenthaler per Telefonkonferenz aus, am Donnerstag findet in Frankfurt die finale Beratungsrunde statt. Alles dreht sich um eine Frage: Wie weit darf der postulierte Maßstab - »Ich brauche absolut fitte Spieler, einen maximal belastbaren Kader« - doch noch aufgeweicht werden?
Was kann in der Mittagshitze von Salvador, Fortaleza oder Recife Stürmer Mario Gomez bewegen, der zuletzt im italienischen Pokalfinale nicht mal auf dem Spielberichtsbogen auftauchte? Der Dauerpatient aus Florenz beschied indes trotzig: »Am Ende ist es wichtig, was im Juni, Juli passiert und nicht im März, April.« Was bringt der DFB-Elf im Auftaktspiel gegen Portugal der Defensivallrounder Benedikt Höwedes, der nach einer Verletzung noch gar nicht wieder für Schalke gespielt hat? Und was kann, wenn es im Achtelfinale in Porto Alegre vielleicht gegen Belgiens Hochgeschwindigkeitstruppe geht, ein verletzungsanfälliger Linksverteidiger Marcell Jansen bewirken, der seit Wochen beim Hamburger SV nur zuschaut? Löw ist Anfang Mai genauso weit wie Anfang März, als er konstatierte: »Die Wahrheit sieht nicht so schön aus, wir haben mit Verletzungen zu kämpfen oder keinen Rhythmus.«
Am Donnerstag werden zur Mittagszeit in der Verbandszentrale vielleicht nur 26 oder 27 Namen genannt, denn erst am 13. Mai muss die Vorauswahl mit 30 Spielern an den Weltverband FIFA gemeldet werden. Löw kann also noch nächsten Dienstag im Länderspiel gegen Polen in Hamburg experimentieren, was er ohnehin tun muss, wenn die im Pokalfinale beschäftigten Bayern- und BVB-Profis fehlen. Löw kann sich also Optionen offenhalten, denn nur aus dem 30er Kreis darf am 2. Juni der endgültige 23-Mann-Kader bestückt werden. Zuvor kommen alle Wackelkandidaten im Trainingslager in Südtirol (21. bis 31. Mai) aufs Rüttelsieb.
»Von einer weltmeisterlichen Vorbereitung« hat Löw gesprochen, der Kompromisse der Vergangenheit nicht mehr dulden will. In der deren Aufarbeitung ist er schließlich zur Erkenntnis gelangt, dass er sich schon bei der EM 2008 keinen Gefallen tat, den angeschlagenen Christoph Metzelder durchzuschleppen. Vier Jahre später war es ein Irrtum, auf den nicht austrainierten Bastian Schweinsteiger zu setzen. Ausnahmen soll es nun nur bei verdienstvollem Hintergrund geben: Wie bei Sami Khedira, der nach ausgeheiltem Kreuzbandriss das Mannschaftstraining in Madrid mitmacht. Auch Miroslav Klose wird die Chance auf seine vierte WM nicht verwehrt. Dafür, so heißt es intern, verhält sich der Oldie in Fitnessfragen viel zu professionell - besser als manch einer der jüngeren Garde.
Fest steht: Es wird schon am Donnerstag Härtefälle geben. So könnten die formschwachen Hamburger René Adler und Heiko Westermann zu den Streichkandidaten gehören, während sich Matthias Ginter oder Max Meyer aus Freiburg und Schalke Hoffnungen machen dürfen. Nicht umsonst sah sich Löw am vergangenen Samstag genau dieses Bundesligaspiel an. Praktischerweise vor der Haustür.
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