Mörsergranaten auf Knutschhügel

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 4 Min.

Er wolle es doch mit dem Boot probieren, schrieb mir Yasser neulich auf Skype. »Oder fällt dir nicht doch noch etwas ein?« Yasser ist ein syrischer Freund, mit vier Fremden gestrandet in einem zu kleinen Zimmer in Tunis. »Das Boot« ist einer jener Flüchtlingskutter, die mit Syrern überladen in den Kurzmeldungen der Agenturen regelmäßig untergehen. Zehn Jahre ist es her, dass er mich am Busbahnhof in Aleppo angequatscht hat. Heute sind unsere Skype-Nachrichten genauso selten und knapp wie die Nachrichten aus seiner Heimat.

Ob ich einen kritischen Beitrag über die Syrien-Berichterstattung deutscher Medien schreiben könne, hat ein Kollege gefragt. Dass Massenmedien von Anfang an einseitig Stellung bezogen haben; ja, dadurch den Krieg anheizen, würde ich schreiben. Etwas über eine entpolitisierte Katastrophenberichterstattung, die sich mit Flüchtlingen und Nahrungsmangel begnügt. Als wäre ein Unwetter über Syrien losgebrochen, dessen entfesselter Gewalt man entweder schockiert oder apathisch, doch stets machtlos gegenüberstünde.

Auch diesen Leipziger Medienwissenschaftler würde ich in meiner Medienkritik unterbringen. Jener, der sagt, dass die wichtigsten Außenpolitikredakteure deutscher Leitmedien nebenbei in NATO-nahen Instituten engagiert sind. Ein Zitat von Chomsky dürfte natürlich nicht fehlen. Vor 30 Jahren schrieb der schon über die Mischung aus Narzissmus und 
(Selbst-)Zensur, Abhängigkeit von Informationen und Geld, die dazu führe, dass Massenmedien stets »unterstützende Propaganda« für die herrschenden Eliten bereitstellten.

Aber um ehrlich zu sein: Ich habe keine Lust. Es reicht aus, mich auf die lange Suche nach meinem eigenen letzten Syrien-Text zu machen, damit mir der Spaß an Beschuldigungen vergeht. Was nützt die scheinheilige Frage nach dem »Versagen von Medien« im Syrien-Konflikt, wenn ich längst selbst versage?

Es gibt kein Land, in das ich so gern und so oft gereist bin wie Syrien. Ich studierte dort, lernte Arabisch, politisierte mich, traf neue Freunde und alte Geheimdienstler, wurde eingeladen und rausgeschmissen. Eigentlich wusste ich ganz gut Bescheid über das Land – als es das noch gab. Nur, warum kann man das gerade jetzt kaum irgendwo nachlesen?

Warum gibt es kaum Artikel mit meinem Namen über die Demonstrationen von hunderttausenden Syrern, die sich gegen die Militarisierung dessen stellten, was Medien als Revolution verkauften? Medien, die monatelang weismachen wollten, es handle sich um ein paar Deserteure und spontan bewaffnete Demonstranten, mit denen eine Armee und ein Geheimdienst, deren Präsenz man selbst in Friedenszeiten an jedem Falaffelstand spürte, nicht fertig werden würden. Oder Beiträge über die echten syrischen Oppositionellen, deren Lebensmittelpunkt nicht Istanbul und Doha, sondern Assads Kerker waren, und die dennoch nicht nach »Revolution«,sondern nach »Reformen« riefen?

Was in Syrien im Frühjahr 2011 passierte, war keine Revolution. Davon, dass viele der geforderten Reformen das Parlament genauso passierten, wie ausländische Söldner die syrischen Grenzen; in den ersten Tagen und Wochen mehr Polizisten starben als Demonstranten, erfuhr man nicht nur in »den Medien« nichts. Auch ich schrieb nicht darüber. Aus Angst als Pro-Assadler abgetan zu werden; aus Sorge um das nächste Artikelangebot? Mit Sicherheit.

Dennoch gebe es sie, die kritischen Berichte. Mit diesem Argument rechtfertigen sich Medien gern, wenn man ihnen Einseitigkeit vorwirft. Ich mich auch. Aber in Wahrheit sind es auch bei mir nie mehr als Einzelfälle. Meine Reportagen über die Proteste von Assad-Anhängern, die Demontage der syrischen Wirtschaft, die deutsche Unterstützung »syrischer« Milizen erreichten bestenfalls ein paar Tausend Leser. »Die Großen lehnen das sowieso ab«, redete ich mir ein und war insgeheim froh, dass nicht zu viele Leute den Ausbruch von Integrität zu Gesicht bekamen. »Die Großen« bekamen stattdessen den unpolitischen Stimmungsbericht. Wie jenen über den Berg Qasiyun und die Verliebten, die dort heimlich knutschten. Auch ich war einmal einer einer von ihnen. Heute weiß ich nicht einmal, ob sie noch lebt.

Wahrscheinlich liegt hier der größere Teil meines Versagens. Syrien wurde zu einem Abziehbild mit allenfalls entfernten Anleihen an der Realität: für viele Medien mit ihrem stoischen Festhalten am Narrativ des wahnsinnigen Diktators, der eine friedliche Protestbewegung auszulöschen versucht. Und für Leute wie mich, die lieber das Artikelthema wechseln, als darüber zu schreiben, dass auf dem eigenen Knutschhügel längst die Mörsergranaten einschlagen.

Nie wird mir das so deutlich, wie wenn die Skype-Nachrichten eintreffen: von Yasser, der den Luftangriff nur überlebte, weil die Rakete – ohne zu explodieren – in der Küchenwand stecken blieb. Oder Nasr, der mir vor Jahren beim Spaziergang jenes Gebäude des Luftwaffengeheimdienstes zeigte, in dessen Keller er nun die letzten zehn Monate verbracht hat. Wenn es ein Maß an Leid gibt, ab dem sich die Wahrheit verbietet, dann hat Syrien mehr als genug davon. Oder ist das nur meine nächste Ausrede?

Die Wahrheit ist: Nicht nur »die Medien«, auch ich habe längst angefangen, Syrien zu vergessen. Der dpa-Ticker meldet gerade wieder einen Angriff mit elf Toten. Er wartet vergebens auf meine Reaktion. Yasser auch.

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