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Der Jüngste als Spitzenkandidat
Bei der Kommunalwahl in Schöneiche setzt die LINKE auf den 22-jährigen Fritz Viertel
Der Landtag rief am Mittwoch dazu auf, sich am 25. Mai an den Kommunal- und Europawahlen zu beteiligen. Bei der Kommunalwahl dürfen in Brandenburg erstmals auch 16- und 17-Jährige abstimmen. »Alle Bürgerinnen und Bürger, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, können und sollten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen«, heißt es in dem Antrag, den Parlamentspräsident Gunter Fritsch (SPD) eingebracht hatte. »Sie stellen damit die Weichen für ihre ganz persönliche Zukunft.«
In Schöneiche bei Berlin sendet die LINKE ein besonderes Signal an die jungen Wähler aus. Sie kürte den erst 22 Jahre alten Fritz Viertel zu ihrem Spitzenkandidaten. In der Gemeinde im Landkreis Oder-Spree gibt es 75 Kandidaten für die 22 Sitze in der Gemeindevertretung. Mit mehr oder minder wichtigen Themen werben sie auf Plakaten und in Gesprächsrunden um die Gunst der 11 000 Wahlberechtigten in Schöneiche. Dort durften 16- und 17-Jährige bereits bei der der Bürgermeisterwahl anno 2012 mit abstimmen. Alle Parteien achten hier darauf, neben den gestandenen Kandidaten möglichst auch einen Bewerber im jugendlichen Alter auf ihrer Liste zu haben.
Fritz Viertel führt den hiesigen Ortsverband der Linksparei seit zwei Jahren. Mit seinen 22 Jahren zählt er landesweit zu den jüngsten Spitzenkandidaten bei der Kommunalwahl, vielleicht ist er überhaupt der jüngste Spitzenkandidat. Linksfraktionschefin Beate Simmerl (54) folgt auf Listenplatz zwei. Die Partei stellte sich symbolhaft auf als eine gesunde Mischung aus neu und quer Gedachtem und langjähriger Erfahrung, jeweils zur Hälfte aus Mitgliedern und Parteilosen. Neben Menschen, die im Ort bekannt sind, stehen auch neue Gesichter auf der Liste.
Wie wichtig es ist, dass mehr junge Leute in den Parlamenten mittun, hat Viertel selbst erfahren, als er vor ein paar Jahren noch Sprecher des Schöneicher Jugendbeirates war. »Wir setzten uns damals mit vielen kommunalpolitischen Themen auseinander - beispielsweise mit einer Baumschutzsatzung oder einer weiterführenden Schule im Ort - und redeten mit den Gemeindevertretern über Details, legten unsere Ideen und Vorschläge vor.« Allerdings wurden die jungen Leute, die ja das Ortsparlament beraten sollten, das Gefühl nicht los, zumindest vom größten Teil der Gemeindevertreter nicht ernst genommen zu werden - gewissermaßen erst Schulterklopfen, dann schon vergessen.
Viertel studiert derzeit an der Berliner Humboldt-Universität Geschichte und Sozialwissenschaften. Gelegentlich arbeitet er auch als Fahrer bei der Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn. Er hilft dort beispielsweise in der Urlaubszeit aus oder wenn es dem Verkehrsbetrieb wegen Krankheit von Kollegen an Personal mangelt. Viertel verdient sich so etwas nebenbei. Abzulehnen, wenn er gebraucht wird, das liege ihm ohnehin nicht, sagt er.
Die Schöneicher LINKE hat ihre Vorhaben und Gedanken in einem achtseitigen Programm zusammengefasst, das die wichtigsten und akuten kommunalen Probleme benennt und in einem knappen Abschnitt Lösungswege aufzeigt. Man sieht sich wie bisher als »soziales Korrektiv und konstruktive Gestalterin« zugleich. Wenn demnächst das neue Rathaus bezogen wird, müsse die Verwaltung modernisiert werden. Beispiel Öffnungszeiten. Da viele Bürger in Berlin arbeiten und deswegen tagtäglich pendeln müssen, gelingt es ihnen selten bis gar nicht, ihr Anliegen innerhalb der Sprechzeiten vorzubringen. Die Serviceleistungen wie etwa die Anmeldung eines Gewerbes müssten einfacher zu erledigen sein, sagt Fritz Viertel. Denn die Verwaltung sei für den Bürger da, keineswegs umgekehrt. »Deswegen schlagen wir vor, mindestens einmal in der Woche die Einwohnermeldestelle bis 19 Uhr zu öffnen statt wie bisher nur am Dienstag bis 18 Uhr, darüber hinaus einmal im Monat an einem Samstag zwischen 9 und 12 Uhr.« Dafür könnten die Öffnungszeiten an Vormittagen reduziert werden - da komme sowieso kaum jemand. Ausgewählte Dinge sollten zusätzlich auch über das Internet möglich sein.
Zudem schwebt den Sozialisten eine Kooperation mit der benachbarten Gemeinde Woltersdorf und der Stadt Erkner vor. Man könnte dabei Verwaltungsangebote verabreden, die nur in einem der drei Orte für alle geleistet werden. Das wäre viel effektiver und die Kosten für die Kommunen würden deutlich sinken.
Die LINKE hat zudem ins Gespräch gebracht, angelehnt an einen Satz von Willy Brandt, »mehr Einwohnerbeteiligung zu wagen«, mehr Demokratie also. Damit ist nicht nur gemeint, dass der Bürgerhaushalt von derzeit 20 000 Euro schrittweise auf 100 000 Euro pro Jahr erweitert werden soll. Es soll auch Anwohnerentscheide etwa bei der Sanierung von Straßen geben, mehr Transparenz in allen Fragen, die die Bürger direkt betreffen.
Lesen denn die Wähler solche Programmpapiere Zeile für Zeile durch? »Insbesondere Ältere tun das tatsächlich sehr genau«, sagt Viertel. Andere wiederum fischen sich heraus, was sie h interessiert. Das reicht von bezahlbarem Wohnraum bis zu sozial gerechten Gebühren, Schulsozialarbeit, Energiewende und Schutz vor Kriminalität.
Auf eine Prognose über das Abschneiden seiner Ortsgruppe möchte sich Viertel nicht einlassen. Bei der Kommunalwahl im Jahr 2008 war die LINKE mit knapp 27 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden. Prognosen gibt es aber auf Ebene der Stadt- und Gemeindeparlamente nicht, so dass Trends kaum zu erkennen sind. Zudem hat sich die Situation gegenüber damals verändert. Es bildeten sich zwei Bürgerlisten, in denen auch Vertreter von anderen Parteien mitmischen und den Bürgern oftmals das Blaue vom Himmel versprechen.
Die NPD, die im Kreistag sitzt und ins Europaparlament möchte, klebt inzwischen mit ihren Plakaten den Ort zu, tritt aber bei der Wahl zur Gemeindevertretung nicht an. Erst am 8. Mai musste die neofaschistische Partei erkennen, dass sie in Schöneiche kaum eine Chance hat. Fünf Leute waren an der Dorfaue aus einem Bus mit Berliner Kennzeichen gestiegen - kein einziger Einheimischer unter ihnen. Die Parolen dieser NPD-Leute waren wegen der Pfiffe und Buhrufe von 150 Einwohnern kaum zu hören. In Abwandlung der NPD-Losung »Lieber Geld für Oma statt für Sinti und Roma« hieß es auf einem Plakat der Gegendemonstranten: »Meine Oma liebt auch Sinti und Roma.«
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