22 Franken pro Stunde sind das Minimum

Viele EU-Länder haben ihn längst - nun stimmt die Schweiz über die Einführung eines allgemein gültigen Mindestlohns ab

  • Sabine Hunziker
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Schweizer sind aufgerufen, über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns abzustimmen. Die Chancen sind eher schlecht.

Wer in der Schweiz arbeitet, sollte einen Schweizer Lohn erhalten. In Branchen wie dem Bau sind festgelegte Mindestlöhne dank Gesamtarbeitsverträgen Realität - trotzdem verdienen allein hier 330 000 Personen weniger als 22 Franken (etwa 18 Euro) pro Stunde. Die Zahl der Menschen im Niedriglohnsektor nimmt zu. Im Gegensatz zur Schweiz haben viele EU-Länder einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn: Frankreich führte ihn 1950 ein, Spanien 1980 und England 1999 - auch Deutschland wird dazukommen. Bei Ländern wie Dänemark, die keinen Lohnschutz haben, ist die Mehrheit der Arbeitenden durch Tarifverträge geschützt.

In der Schweiz arbeitet die Hälfte der Beschäftigten in Branchen ohne Mindestlöhne. Warum tut man sich so schwer mit dem Schutz der Arbeitnehmer? Pepo Hofstetter von der Dienstleistungsgewerkschaft Unia meint: »Die Schweiz kennt beim Arbeitsmarkt sehr liberale Bestimmungen. Bei uns ist auch der Kündigungsschutz schwach.« Bisher haben sich die Gewerkschaften darauf konzentriert, den Mindestlohn über die Gesamtarbeitsverträge (GAVs) einzuführen. 2011 begann man aber, Unterschriften für eine Mindestlohn-Initiative zu sammeln. Am Sonntag wird nun über die Volksinitiative »für den Schutz fairer Löhne« abgestimmt. Gefordert wird, dass der Bund und die Kantone die Festlegung der Mindestlöhne in GAVs fördern sollen. Als unterste Absicherung werden 22 Franken pro Stunde verlangt - was 4000 Franken (3280 Euro) pro Monat ergibt. Ausgenommen sind Lernende und Personen in speziellen Anstellungsverhältnissen.

Gegner wie die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) oder Wirtschaftsverbände haben sich im überparteilichen Komitee »Mindestlohn Nein« formiert. Sie kritisieren den geforderten Mindestlohn als zu hoch im Vergleich zu anderen Ländern. Er würde die schweizerische Produktion verteuern, die Wettbewerbsfähigkeit bremsen und Unqualifizierte aus dem Ausland anlocken. Firmen, die solche Lohnkosten nicht bezahlen können, würden ihre Betriebe ins Ausland verlagern oder personalintensive Arbeiten automatisieren. »Der Mindestlohn bringt mehr Arbeitslosigkeit«, so Hans-Ulrich Bigler vom Schweizerischen Gewerbeverband. Löhne sollten zwischen Unternehmern, Angestellten und Gewerkschaften in Form der »Sozialpartnerschaft« ausgehandelt werden.

Die linke Wochenzeitung »WOZ« weist darauf hin, dass Arbeitgeber vergessen hätten, wie viele Tarifverträge einst zustande kamen: durch Streiks. »GAVs wurden den ArbeitgeberInnen gegen ihren Willen aufgezwungen.« Vorarbeit zu einem politischen Lohn gibt es indes schon heute. So wurde 2011 im Kanton Neuenburg - anders als in Waadt und in Genf - die Einführung eines Mindestlohns per Volksabstimmung angenommen. »Eine wichtige Rolle spielte die Tradition des Mindestlohns im benachbarten Frankreich. Zudem gehört Neuenburg zu den gewerkschaftlich am besten organisierten Kantonen«, sagt Bernard Degen, Experte für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Basel.

Das Abstimmungsbarometer des Schweizer Fernsehens zeigt, dass nur 30 Prozent der Befragten einen Mindestlohn wollen. Die Angst vor Arbeitsplatzabbau ist groß. Vergessen wird aber, dass ein Mindestlohn Löhne unabhängig von politischen Lösungen in der Einwanderungspolitik schützen kann. Der Lohnschutz ist seit der Annahme der SVP-Initiative gegen »Masseneinwanderung« im Februar besonders in Gefahr geraten.

Ganz offenbar wirken die Kampagnen der Unternehmerverbände gegen »Lohndiktate« ähnlich wie bei der 1:12-Initiative letzten Herbst. Ein fixes maximales Lohnverhältnis zwischen dem tiefsten und höchsten Lohn wurde seiner Zeit abgelehnt.

Auch wenn die Mindestlohn-Initiative scheitern sollte, hat sie schon einige Erfolge gebracht: Gewerkschaften konnten die Marke »4000 Franken« als Maßstab für einen fairen Lohn durchsetzen. Mehrere Betriebe haben ihre Löhne auf dieses Minimum erhöht. Unter anderen gaben die Discounter Lidl und Aldi, die Bekleidungsfirma H&M und die Schuhhandelskette Bata bekannt, ihre Löhne auf 22 Franken pro Stunde aufzustocken.

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