Mit knapp 69 Prozent: Jan Stöß bleibt SPD-Landeschef

Landeschef: Sozialdemokraten wollen 2016 wieder stärkste Partei sein / Debatte zur Zukunft des Tempelhofer Feldes / Spaniens Ex-Ministerpräsident González warnt vor Nationalismus

  • Lesedauer: 4 Min.
Nach den Personalquerelen der vergangenen Wochen ringt die Berliner SPD um Geschlossenheit: Mit 158 Ja-Stimmen erzielte der alte und neue SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß kein überragendes, aber ein solides Ergebnis.

Berlin. Der Landesvorsitzende der Hauptstadt-SPD, Jan Stöß, ist in seinem Amt bestätigt worden. Mit Spannung war das Ergebnis für den seit zwei Jahren amtierenden Sozialdemokraten erwartet worden. Sein Widersacher, Fraktionschef Raed Saleh, der nach Zögern auf eine Kandidatur gegen Stöß verzichtete, hatte Stöß in einem »taz«-Interview ein Ergebnis »deutlich über 80 Prozent« vorausgesagt. Auf dem Landesparteitag erhielt Stöß dann 68,7 Prozent. Insgesamt nahmen an dem Parteitag 234 Delegierte teil, 158 unterstützten den 40-jährigen Verwaltungsrichter Stöß, 55 stimmten mit nein und 17 enthielten sich. Als stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner SPD wählten die Delegierten Barbara Loth, Mark Rackles, Iris Spranger und Fritz Felgentreu.

In seiner knapp 50-minütigen Rede, die Stöß weitgehend frei hielt, hatte der alte und neue SPD-Landesvorsitzende zuvor demonstrativ Lob in alle Richtungen verteilt: An den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Senatsteam, an seinen innerparteilichen Konkurrenten - SPD-Fraktionschef Raed Saleh - sowie an die Abgeordneten. Außerdem warb Stöß für starke Bezirke. »Wir werden gebraucht in dieser Stadt: Sonst kümmert sich niemand um die soziale Gestaltung des Wandels«, betonte Stöß. Der SPD-Chef erwähnte den Machtkampf zwischen ihm und Saleh um die Nachfolge von Wowereit mit keinem Wort in seiner Rede.

Er rief die SPD auf, für Wahlsiege bei der Europawahl und beim Volksentscheid am 25. Mai zum Tempelhofer Feld sowie bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl 2016 zu kämpfen. »Wir werden alles dafür tun, 2016 wieder stärkste Partei in Berlin zu werden«, rief Stöß am Samstag bei einem Parteitag der Berliner SPD unter dem Beifall der 234 Delegierten. Derzeit rangiert die SPD bei 23 bis 24 Prozent deutlich hinter dem Koalitionspartner CDU mit 28 bis 30 Prozent.

Wie viel Prozent bekommt Stöß?
Nach dem Machtkampf bemühen sich die Sozialdemokraten um etwas Ruhe

Alles zum Parteitag der Berliner SPD - hier

Mit Blick auf den Volksentscheid zum Tempelhofer Feld warnte Stöß erneut vor Stillstand, falls sich die Initiative »100 Prozent Tempelhofer Feld« gegen jegliche Bebauung durchsetzen sollte. Berlin brauche dringend bezahlbaren Wohnraum. »Ein radikales Bauverbot wäre ein verdammt schlechtes Signal für diese Stadt«, betonte der SPD-Chef. Am Ende seiner Rede bekam der Landesvorsitzende etwa eine Minute Applaus, viele der Delegierten erhoben sich auch zu Standing Ovations. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh sowie einige Delegierte blieben allerdings demonstrativ sitzen.

Trotz solcher kleinen antmosphärischen Störungen beschloss der Landesparteitag am Nachmittag einstimmig einen Antrag zur Zukunft des Tempelhofer Feldes, der in einer kämpferischen Rede vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit begründet worden war. Unter dem Applaus der Delegierten rief Wowereit die SPD ebenfalls zum Kämpfen auf: »Wir sind für eine sinnvolle Randbebauung, damit die Menschen eine Wohnung bekommen.« Die eigene Partei und Fraktion lobte Wowereit ausdrücklich für das mit »Verve« vorgetragene Engagement in Sachen »behutsamer Randbebauung« auf dem Tempelhofer Feld. Scharfe Angriffe lancierte Wowereit, der persönlich in den Beliebtheitsrankings der Umfrageinstitute in den vergangenen Monaten stark Federn gelassen hat, gegen die Initiative »100 Prozent Tempelhofer Feld«, der er »Verdummung« vorwarf. Auch die oppositionellen Grünen und die Linkspartei bekamen ihr Fett weg. Die Position der Grünen, für eine Randbebauung zu sein, aber dennoch die Bürgerinitiative »100 Prozent Tempelhofer Feld« zu unterstützen, nannte Wowereit »schizophren«. Doch auf dem Parteitag wurde auch deutlich, dass es auch innerhalb der SPD Kritik an dem Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses gibt. Die Kreisverbände Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg konnten erfolgreich verbindlichere Regelungen zur Zweckgebundenheit an städtische Wohnungsgeselslchaften und Miethöhe (sechs bis acht Euro) der neu zu bauenden Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld durchsetzen.

Zu Beginn des Parteitages hatte Spaniens früherer Ministerpräsident Felipe González vor einem wachsenden Nationalismus in Europa gewarnt. »Europa hat ein Problem«, sagte González auf dem Parteitag. EU-Gegner hätten genügend Gründe, Europa zu kritisieren. »Aber sie geben nicht eine einzige Antwort auf die Frage, wie man die Probleme lösen kann. Das ist die Tragödie, die wir erleben«, sagte er etwa eine Woche vor der Europawahl am 25. Mai.

Der Sozialist warnte vor einer fehlenden Regulierung des Finanzmarkts und übertriebener Sparpolitik. Gegen Überschuldung und Defizite zu kämpfen, sei vernünftig. Wenn es aber nicht mehr Beschäftigung gäbe, könnten Schulden nicht zurückgezahlt werden. »In meinem Land haben mehr als 50 Prozent der jungen Leute keine Beschäftigung«, sagte der frühere Regierungschef.

Auch die Berliner SPD-Kandidatin für das EU-Parlament, Sylvia-Yvonne Kaufmann, mahnte: Europagegnern müsse die Rote Karte gezeigt werden. SPD-Landeschef Jan Stöß sagte: »Wir müssen dafür kämpfen, dass nicht die Feinde Europas eine Mehrheit im Europäischen Parlament bekommen.« nd

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!