Sorgen um die Essenz des Lebens

Den Bauern könnte bald das Phosphat ausgehen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Bis zu 465 Euro kostet die Tonne »Triple Superphosphat 45% P2O5« den Bauern Anfang Mai laut »Agrarmarkt NRW«. »Ist das nicht zu wenig«, fragt die Britin Andrea Sella, Chemikerin am University College London (UCL) provokant. Sie plädiert ebenso wie eine ganze Reihe ihrer Berufskollegen für einen rationelleren und vorsichtigeren Umgang mit der vielleicht wichtigsten Ressource der Menschheit - dem Phosphat.

Warum? Weil Phosphat endlich ist und sowohl für den Menschen als auch für die Pflanze lebenswichtig. Die tägliche Dosis Phosphor liegt bei 0,7 Gramm für den Menschen. Milliarden Phosphoratome stecken im Erbgut, im Phospat der Knochen und im »Kraftstoff« der Zellen, dem Adenosintriphosphat (ATP). Überschüsse werden mit dem Urin ausgeschieden.

Phosphate sind jedoch nicht nur für uns Menschen lebenswichtig, sondern auch bei den Pflanzen, wie der deutsche Chemiker Justus Liebig bereits 1840 der Britischen Vereinigung zur Förderung der Wissenschaft vorführte. Mit seinem Nachweis der zentralen Funktion von Phosphaten und Nitraten für das Pflanzenwachstum gilt Liebig als Vater der Agrarchemie. Als solcher entwickelte er zwischen 1846 und 1849 einen wasserlöslichen Phosphatdünger - das sogenannte Superphosphat. Das ist bis heute, wenn auch leicht modifiziert, in der konventionellen Landwirtschaft im Einsatz. Und angesichts steigenden Bedarfs mahnen Experten wie Sella zu einem vorsichtigen und moderaten Umgang mit dem Mineraldünger.

Denn nicht nur der Rohstoff dieser Düngemittel wird knapper, sein Einsatz hat auch eine hässliche Kehrseite wie die Bilder von bunt schillernden Algenblüten auf Seen und Flüssen zeigen. Die Algenschwemme im Titicacasee in Peru und Bolivien, im Atitlánsee in Guatemala und nun im Winnipeg-See in Kanada, der kürzlich aufgrund der Phosphatschwemme aus der Landwirtschaft als gefährdeter See deklariert wurde, zeigen das. Überdüngung und Ausschwemmung sind die wesentlichen Stichworte zu dem Phänomen, das nach Ansicht von Wissenschaftlern durch höhere Düngemittelpreise zurückgedrängt werden könnte. Doch nach wie vor steigt der weltweite Phosphathunger. Ein Dämpfer wäre aus Sicht von Andrea Sella, aber auch ihrer Kollegin Dana Cordell hilfreich.

Cordell schätzt, dass Phosphor schon ab 2030 deutlich knapper werden könnte. Von einem »Peak Phosphor« wird gesprochen und Cordell und andere mahnen, stärker auf Recycling zu setzen. Immerhin gehen achtzig Prozent des in der Landwirtschaft ausgebrachten Phosphors verloren, sie werden ausgeschwemmt oder verbleiben in chemischen Verbindungen im Boden, die für die Pflanzen nicht erreichbar sind. Die Düngung mit Pflanzenresten, menschlichen und tierischen Exkrementen wäre eine Alternative, kommt aber in der globalisierten industriellen Landwirtschaft kaum zum Einsatz. Die ist abhängig von der Zulieferung aus den großen Düngemittelfabriken. Deren Rohstoff wird jedoch zu knapp siebzig Prozent von nur drei Ländern geliefert: Marokko (und der besetzten Westsahara), China und den USA. Die kontrollieren derzeit zwei Drittel der Phosphatförderung von 191 Millionen Tonnen. Für die europäische Landwirtschaft eine wenig komfortable Situation - und so wird vermehrt nach Alternativen gesucht.

Eine wäre die Urin-Separierung in Toiletten. Dort werden jedes Jahr rund drei Millionen Tonnen Phosphor heruntergespült, sagen wissenschaftliche Studien. Die menschlichen Ausscheidungen sind mittlerweile in den Fokus der Forschung geraten und Überlegungen, Urin in Sammeltanks aufzufangen und den enthalten Phosphor durch Filter oder chemische Verfahren zurückzugewinnen, kursieren.

Eine konkrete Alternative, die bereits in Südafrika im Einsatz ist, ist die Nomix-Toilette, wo Urin und Kot getrennt werden. Jeder Liter menschlicher Urin enthält im Schnitt neun Gramm Stickstoff und 0,7 Gramm Phosphat, so das Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag. Das forscht, um aus den Exkrementen direkt wieder Düngemittel zu machen. Nicht nur in Entwicklungsländern, aber von dort gibt es konkrete Ergebnisse und konkrete Ziele: »Der gesamte Ablauf vom einzelnen Toilettenbesuch bis zum handelsfertigen Dünger muss effizient und sauber sein«, erklärt Projektleiter Kai Udert gegenüber dem Schweizer »Tages-Anzeiger«. Udert betrachtet Urin längst als Rohstoff und nicht als Abfall. Damit ist er nicht allein. Im württembergischen Knittlingen haben Wissenschaftler vom Frauenhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik ein ganzheitliches Abwassersystem für eine kleine Siedlung erstellt. Ein Pilotprojekt, das für den Routinebetrieb noch zu klein ist, aber die Richtung weisen könnte.

In Schweden werden solche Ansätze besonders aufmerksam beobachtet. Dort hat man das Ziel ausgegeben, bis 2015 immerhin 60 Prozent des ausgebrachten Phosphors wieder zurück auf die Felder zu bringen. Dabei wird unter anderem bei den Kläranlagen angesetzt, die aus den Abwässern die Rohstoffe filtern sollen. Pilotprojekte, um aus dem phosphorhaltigen Klärschlamm den Phosphor zu entziehen, laufen dazu nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika. Zudem sind Biologen dabei, Pflanzensorten zu züchten, die Phosphor besser aufnehmen und effizienter in Wachstum umwandeln können. Letztlich gibt es mehrere Wege, nachhaltiger mit dem »Treibstoff des Lebens« umzugehen. Besonders nachhaltig würde sich eine Reduzierung des Fleischkonsums bemerkbar machen, so James J. Elser vom Globalen Institut für Nachhaltigkeit in Arizona. Um 45 Prozent könnte der Phosphorbedarf bei einem Verzicht auf Schnitzel, Ragout und Co. gesenkt werden, so der Experte, denn schließlich werden immense Mengen an Phosphat für die Produktion von Futtermitteln ausgebracht.

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