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Angst vor der nächsten Granate

Um das ostukrainische Slawjansk toben vor der Präsidentenwahl heftige Gefechte

  • Ulrich Heyden, Donezk
  • Lesedauer: 3 Min.
Slawjansk (ukrainisch Slowjansk) ist derzeit die am meisten umkämpfte Stadt in der Ostukraine. Stimmungen und Ängste der Bewohner erfragte unser Korrespondent in einem Chat per Internet.

Zu gefährlich sei es derzeit, nach Slawjansk zu fahren, sagt man mir in Donezk. Um die Stadt, etwa 90 Kilometer nördlich des Gebietszentrums gelegen, toben vor den Präsidentschaftswahlen heftige Kämpfe zwischen Truppen der ukrainischen Übergangsregierung und Verfechtern der »Donezker Volksrepublik«. Iwan Selenski lebt seit seiner Geburt 1982 in Slawjansk und bestätigt: »Hierher zu kommen ist wirklich gefährlich.« Er arbeitet als freischaffender Programmierer und erklärt sich bereit, in einem Chat Auskunft zu geben.

Was die Bewohner der Stadt zurzeit am meisten ängstige, frage ich Selenski. »Der Artilleriebeschuss in den Nächten steht an erster Stelle, Probleme mit dem Nahverkehr an zweiter. An dritter Stelle stehen die Probleme der Versorgung mit bestimmten Waren. Es gibt genug zu essen, aber die Apotheken sind leer.« Die Schulen seien zwar geöffnet, doch viele Schüler blieben aus Angst zu Hause. »Und jeden Abend fürchten die Leute, dass eine Artilleriegranate in ihr Haus fliegt.«

Zum Zeitpunkt unseres Chats am Donnerstag weiß Iwan von drei Häusern, die beschädigt wurden. »Zwei kleinere wurden von einem Geschoss zerstört.« In der Nacht zuvor sei die Stadt mit »Balvanki« (Artilleriegranaten ohne Sprengstoff) beschossen worden. »Getroffen wurde eine Wohnung in einem viergeschossigen Haus.«

Er selbst, berichtet Selenski, wohne im achten Stockwerk eines Hauses abseits des Kampfgeschehens. »Deshalb fliegen die Geschosse nicht in unsere Richtung. Bei uns spielen die Kinder noch im Hof.« Schießereien gebe es vor allem an den Kontrollposten der Aufständischen, zuletzt auch in der Stadt. »Gerade in diesem Moment donnert es.« Dennoch arbeitet Iwan an seinen Programmen. Das beruhige ihn, schreibt er, da müsse er sich nicht über ukrainische Medien erregen oder die ukrainischen »Patrioten« bei Facebook.

Selenski ist Mitglied der Linksorganisation »Borotba« (Kampf) und gesteht, dass er sich als Kommunist über beide Seiten des Konflikts ärgere. Die »Separatisten« seien ihm nur insofern näher, als sie bisher die kommunistische Idee noch nicht verboten haben.

Wie kommen die Bewohner der Stadt zu Geld, will ich wissen. »Die Geldautomaten arbeiten schlecht, aber viele Löhne werden bar ausgezahlt. Mit den Renten ist es merkwürdig. Auf der einen Seite wird erzählt, alles sei in Ordnung, auf der anderen Seite heißt es, die Regierung in Kiew habe verboten, in Slawjansk und Kramatorsk Renten auszuzahlen. Außerdem bekommt man das Rentengeld nur auf Kreditkarte. Aber in den Automaten reicht das Geld nicht. Und die Supermärkte nehmen nicht immer Kreditkarten an.«

Was er vom Slawjansker »Volksbürgermeister« Wjatscheslaw Ponomarjow hält? »Ich habe ihn nicht gewählt. Ponomarjow hat sich selbst ernannt. Er ist ein Usurpator. Als Bürgermeister will ich jemanden, der demokratisch gewählt wurde. Nelja Schtepa, die frühere Bürgermeisterin, war nicht die schlechteste«, antwortet Selenski. Er selbst hätte auch keine Kämpfer in die Stadt gerufen. »Man muss gegen die Junta mit politischen Methoden und Streiks kämpfen. Aber die Separatisten haben sich für das Abenteuer entschieden. Sie haben damit gerechnet, dass Russland sich einmischt und uns annektiert. Inzwischen sagen sie offen, dass Putin nicht kommen wird, aber die Leute wollen das nicht hören.«

Die Mehrheit in der Stadt sei für Russland, »viele warten noch darauf, dass Putin kommt«. Eine Minderheit sei für die Ukraine. Entsprechend sehe die Mehrheit die Schuld für den Konflikt bei den Kiewer Machthabern, die Minderheit bei den sogenannten Terroristen. »Ich meine, dass die ukrainische Macht schuld ist. Statt Ordnung zu schaffen, schafft die Junta in Kiew Spannungen und hat diesen Krieg angefangen.« Denn das ist für Iwan Selenski klar. »Das ist keine russische Aggression, wie westliche und ukrainische Medien behaupten. Das ist ein Bürgerkrieg.« Und Europas Linke müssten ihre Regierungen dazu bewegen, dass sie Kiew zu einer friedlichen Lösung zwingen, damit das Land nicht in eine faschistische Diktatur abrutscht.

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