Strapazen für Gutverdiener
Nairo Quintana übernimmt im Schneetreiben die Gesamtführung des Giro d’Italia
Man kann viel Geld verdienen als Radsportler, manche Rundfahrer erhalten mehr als eine Million Euro pro Saison - aber es ist nicht immer leicht verdientes Geld. Die Königsetappe des Giro d’Italia machte dies einmal wieder deutlich. Mannshohe Schneebarrieren türmten sich links und rechts von Gavia-Pass und Stilfser Joch. Eisiger Regen malträtierte die Körper. Regenjacken, Handschuhe und wärmende Textilien standen so hoch im Kurs wie lange nicht. Gegen vereiste Brillen konnte auch das aber nicht helfen.
Altgediente Haudegen wie der Chef vom Omega-Rennstall Patrick Lefevere schüttelten angesichts dieser Bedingungen ergrimmt den Kopf. »Soll das etwa moderner Radsport sein?«, schimpfte der ehemalige Rennfahrer und derzeitige Arbeitgeber des bis dahin Gesamtführenden Rigoberto Uran per Twitter. »Ich hoffe, das alles lässt sich rechtfertigen und ist nicht nur ›Blut und Spiele‹«, schickte er hinterher.
Der Giro bot wieder einmal ein Spektakel zwischen Erstaunen über die Widerstandsfähigkeit der Radprofis und Entsetzen über die von den Veranstaltern gesuchten Extreme. Gelassener als sein Chef schätzte Uran selbst die Verhältnisse ein: »Solange die Sicherheit gewahrt bleibt, ist mir die Streckenführung egal. Am Ende setzen sich ohnehin die Stärksten durch.« Uran sollte nicht dazu gehören und das Rosa Trikot abgeben.
Seine in den Anden gehärteten kolumbianischen Landsleute bestimmten dann auch den Kurs. Robinson Chalapoud, Jarlinson Pantano (beide Team Colombia) und der bisherige Bergkönig Julian Arredondo (Trek) machten die erste Bergwertung am Gavia-Pass unter sich aus.
Im Hauptfeld zeigte die Movistar-Mannschaft, dass sich ihr bester Kletterer Nairo Quintana - auch ein Kolumbianer - an diesem Tag viel vorgenommen hatte. Schon am Gavia, nur 23 Kilometer vom Start in Ponte di Legno entfernt, legte sie ein Tempo vor, dem Ex-Giro-Sieger Ivan Basso (Italien) nicht folgen konnte.
Während das in zahlreiche Gruppen zersprengte Feld sich dem Stilfser Joch entgegenquälte, begann es zu schneien. Der Flockenteppich war zwar nicht so dicht wie 1988, als er die Giro-Kombattanten bis an den Rand des Erträglichen quälte. »Ich war damals als Fahrer dabei. Ich möchte nicht diese Szenen wiedererleben, als Fahrer weinten und einige für ihr ganzes Leben gezeichnet waren«, erinnerte sich Quintanas Teamchef Eusebio Unzue. Aber viel fehlte nicht für eine Wiederholung des Schreckens.
Quintana wartete zur Abwechslung mal auf eine Abfahrt. In wilder Jagd hinunter vom Stilfser Joch distanzierte er Uran. Vor der Abfahrt vom Stilfser Joch hatte die Rennleitung angekündigt, dass aus Gründen der Sicherheit die einzelnen Gruppen nicht an einem Motorrad mit roter Flagge vorbeifahren sollten. Diese »Safety-Bikes« wurden dann aber nicht eingesetzt. Die Attacke von Quintana in der Abfahrt löste Ärger bei denen aus, die diese Ankündigung als komplette Neutralisation gedeutet hatten. Quintana baute den Vorsprung zu Uran am finalen Anstieg auf mehr als vier Minuten aus, gewann die Königsetappe und übernahm die Gesamtführung.
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