Die Magie des Balles: Jeder darf mitspielen
Auch vor dieser Weltmeisterschaft bereist »Spirit of Football« alle Kontinente und wirbt für Völkerverständigung
Am Hofe von König Mogho Naba, dem »König der Könige« der Mossi in Burkina Faso, gelten strenge Regeln: Niemand darf die Hoheit direkt ansprechen oder ihm die Hand reichen. 2010 geschah das Unglaubliche. Eine Besuchergruppe betrat den Audienzsaal mit den Worten »Hallo, König, wir sind da!« - und warf dem König kurzerhand einen Fußball zu. Während der Hofstaat versteinerte, fischte der König, selbst ein ehemaliger Torwart, das Leder gekonnt aus der Luft. Und anstatt im Gefängnis endete der gewagte Verstoß schließlich in den Gemächern des Königs bei einer Privataudienz.
Diese Geschichte ist nur eine von Hunderten, die Andrew Aris und seine Mitstreiter mittlerweile erzählen können. Ihr Verein »Spirit of Football« hat sich aktive Völkerverständigung auf die Fahnen geschrieben. Seit 2002 schicken sie alle vier Jahre vor der Weltmeisterschaft einen gewöhnlichen Fair-Trade-Fußball auf eine Reise über alle Kontinente und Dutzende Länder, um für Fair Play, Völkerverständigung und Integration zu werben.
»Wir sind sozusagen der Gegenentwurf zur FIFA«, erklärt Sven Soederberg von der einzigen deutschen Zweigstelle des Vereins im thüringischen Erfurt die Idee hinter »Spirit of Football«. Ähnlich der olympischen Fackel wird eben jener Ball, der auch der König der Mossi erreichte, von England aus in die ganze Welt getragen - ohne die massiven finanziellen Interessen, die Organisationen wie der Weltfußballverband FIFA verkörpern.
Jeder, der dem Ball begegnet, darf damit spielen. Jeder darf sein Autogramm darauf setzen. »Es gibt keine Unterschiede. Der Präsident von Honduras durfte sich ebenso auf dem Ball verewigen wie Kinder aus den Favelas oder zu lebenslanger Haft verurteilte Armeehäftlinge in Kolumbien«, sagt Aris, »Ballträger« und Hauptfigur hinter der Idee. »Das bricht Hierarchien auf.« Unter anderen trägt das Leder mittlerweile auch die Autogramme der Spieler von Borussia Dortmund oder dem FC Barcelona. »Wenn wir dann an Schulen gehen, die Schüler mit dem Ball spielen und dann unterschreiben dürfen, wo bereits ihre Fußballidole unterschrieben haben, ist das natürlich eine große Sache.« Vor allem im fußballfanatischen Lateinamerika habe die Weltreise des Fußballs inzwischen Kultcharakter. »Oft werden Menschen, die Fußball aus den verschiedensten Gründen eigentlich nicht mögen, am leidenschaftlichsten ergriffen«, sagt Aris. »Sie erkennen den Wert der pädagogischen Idee hinter der Aktion.«
Denn eigentlich sei die aufklärerische Idee einer der Hauptgründe der groß angelegten Reise, die sechs Monate lang über den ganzen Globus führt. »Fußball ist für uns vor allem Mittel zum Zweck«, sagt Soederberg beim Gespräch in Erfurt. Und das ist ganz wörtlich gemeint, wie ein Blick auf das Engagement des Vereins in Erfurt zeigt: Im Fanprojekt nebenan sind Erfurter Jugendliche gerade mit Spielen und Malen beschäftigt. Sie nehmen an einer Ferienfreizeit »Ein Ball, eine Welt« teil, die der Verein über die Volkshochschule anbietet. »Vor allem richten wir uns dabei an Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Über den Fußball wollen wir die Jugendlichen erreichen und ihnen den Blick über den Tellerrand ermöglichen.«
Am nächsten Tag besucht die Gruppe die Rollstuhlbasketballer in Elxleben, danach geht es für einen Tag ins örtliche Steigerwaldstadion, wo die Kinder unter anderem in der Arena des Drittligisten Rot-Weiß Erfurt spielen oder die Spielerkabinen besuchen dürfen. »Wir unterstützen weltweit Bildungsprojekte und besuchen auf der Reise die verschiedensten Einrichtungen«, sagt Soederberg. »Wir ermöglichen den Jugendlichen einen Blick in fremde Kulturen und Sprachen und werben dabei vor allem für Fair Play und Teamarbeit.« Wo der Schwerpunkt liege, sei ja nach Land unterschiedlich - so stehe zum Beispiel in Lateinamerika vor allem die Integration von Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt.
»Erlebnisse wie der Besuch bei König Mogho Naaba dienen uns dabei als Türöffner, um an die Jugendlichen heranzukommen«, sagt Soederberg. Bei der Privataudienz habe sich der König damals als Ex-Torhüter geoutet und den Fußballpilgern seine Manchester-United-Devotionalien gezeigt. »Sport hat wirklich eine unglaublich verbindende Wirkung.«
Am Ende der Reise, nach weit über 30 000 Kilometern, nach Hunderten Fußballspielen und noch mehr Unterschriften ist auf dem Ball schließlich kein einziger weißer Fleck mehr zu erkennen. »Manche nennen ihn dreckig«, sagt Soederberg. Aber tatsächlich sei er so gewachsen: »Symbolisch aufgeladen und mit der richtigen Patina versehen«, meint der Erfurter.
»Unsere Erlebnisse mit dem Ball sind unglaublich. Der Ball hat eine fast magische Aura«, sagt Aris. In Südamerika hätten die Menschen die Nase voll von den korrupten nationalen und internationalen Fußballverbänden, könnten den Beginn der WM aber dennoch kaum erwarten - ein Dilemma. Umso größer sei die Begeisterung für die Idee der Ball-Reise: »Der Ball hat eine sehr starke Botschaft. Er berührt eine emotionale Seite der Menschen und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Wundervoll - und gleichzeitig sehr anstrengend.«
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