Ein Leben nach dem Bundestag
Nicht alle Ex-Parlamentarier haben ausgesorgt
Als im Fernsehen die sogenannte Bundestags-Generaldebatte zum Etat des Kanzleramts läuft, wird Otto Fricke wehmütig. »Haushaltsdebatten waren mal die Sternstunden des Parlaments. Jetzt sind sie Mondscheinsonaten der Regierung ohne Contrabass«, schreibt Fricke im Internet. Diese etwas schiefe Metapher soll bedeuten, dass aus seiner Sicht die Diskussionen im Parlament vor wenigen Monaten angeblich anspruchsvoller waren als heute. Denn damals war auch noch seine Partei, die FDP, hier mit 93 Abgeordneten vertreten und Fricke zuständig für die haushaltspolitischen Fragen seiner Fraktion. Er durfte darauf hoffen, dass Fernsehen und Zeitungen seine Bundestagsreden mit den immer gleichen Schlagworten Konsolidierung, Wachstum und Investitionen zitieren würden.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Öffentlichkeit interessiert sich kaum noch für Politiker der FDP. Nach ihrer Wahlniederlage im September letzten Jahres mussten die Liberalen ihre Bundestagsbüros räumen. Viele Parlamentarier der wirtschaftsnahen Partei machten sich auf die Suche nach einer neuen Beschäftigung. Einige arbeiten nun wieder als Anwalt, Insolvenzverwalter, Wirtschaftsprüfer oder Pfarrer. Der Jurist Fricke teilt mit, dass er sich als Unternehmensberater verdingt.
Einen anderen Weg geht sein Parteikollege Rainer Brüderle. Dieser hat ein Buch geschrieben, in dem es unter anderem um die Sexismusvorwürfe einer »Stern«-Redakteurin gegen ihn geht. Der Titel des Werks »Jetzt rede ich« erinnert an die Überschriften großer Boulevardzeitungen. Brüderle kann sich solche Possen erlauben. Er hat keinen nennenswerten Posten in der Partei mehr und ist mit 68 Jahren im Rentenalter.
Aber längst nicht alle Politiker, die ebenfalls im Herbst aus dem Bundestag ausgeschieden sind, haben für ihr Leben ausgesorgt. Von ihnen erhalten 37 eine Abgeordnetenpension. 108 bekamen im April noch Übergangsgeld, die übrigen 74 keinerlei Zahlungen vom Parlament mehr. Das Übergangsgeld wird für jedes Jahr der Mandatsausübung einen Monat lang ausgezahlt, höchstens jedoch für 18 Monate. Hoch dotierte Stellen erhalten meist ehemalige Kabinettsmitglieder oder frühere Staatssekretäre, die ihre Kontakte in ihren neuen Jobs nutzen. Ein Beispiel hierfür ist die Laufbahn des CDU-Politikers Eckart von Klaeden. Der einstige Kanzlerlamts-Staatsminister bereitete noch während seiner Zeit als Politiker seine zukünftige Karriere vor. Im Mai vergangenen Jahres wurde bekannt, dass von Klaeden Cheflobbyist bei Daimler wird.
An Hinterbänklern ist das Interesse der Wirtschaft in der Regel weniger groß. Vor kurzem berichtete der »Spiegel«, dass die Jobsuche für frühere Abgeordnete oft extrem schwierig sei. Das Magazin nahm eine Umfrage der Unternehmensberatung Kienbaum zum Anlass, den Job im Bundestag gar als »Karrierekiller« zu bezeichnen. Denn 15 Prozent der Befragten hatten sich fünf Monate nach Ende der Wahlperiode als arbeitssuchend eingestuft. Allerdings nahmen auch nur 47 Politiker an der Befragung teil - also waren unter ihnen lediglich sieben auf Jobsuche. Einen eindeutigen Beleg für die These des »Spiegel« liefert die Befragung also nicht. Allerdings wird durch die Studie deutlich, wie ungleich die beruflichen Chancen der Ex-Parlamentarier sind. Demnach gab jeder fünfte Befragte ein Jahresbruttogehalt von weniger als 30 000 Euro an. 30 Prozent der Ausgeschiedenen verdienten hingegen mehr als in ihrer Zeit als Mandatsträger.
In der Umfrage gaben neun Prozent an, nach der Bundestagswahl erst einmal eine freiwillige Auszeit zu nehmen. Einer von ihnen ist der 31-jährige FDP-Mann Johannes Vogel. Er tourte seit Herbst letzten Jahres mehrere Wochen durch Asien und versuchte, etwas Chinesisch zu lernen. »Ich habe meine zeitliche Flexibilität genutzt«, erklärt er. Zurück in Deutschland, wird Vogel Anfang April zum neuen Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FDP gewählt. Das könnte innerhalb der Partei wieder ein Karrieresprungbrett sein. Die Freien Demokraten verfügen in Nordrhein-Westfalen noch über eine Landtagsfraktion und über einige treue Stammwähler.
Allerdings ist die Hilfe aus der eigenen Partei für frühere Berufspolitiker eine Ausnahme. Viele Ex-Abgeordnete geben an, von ihrem bisherigen politischen Umfeld keinerlei Unterstützung bei der Umorientierung zu erfahren. Das liegt vor allem daran, dass der Konkurrenzkampf innerhalb der Parteien zum Teil hart ausgefochten wird. Neue Aufsteiger sind nicht gerade unglücklich darüber, wenn alte Konkurrenten in der Partei keine wichtige Rolle mehr spielen.
Bei Gesprächen mit ehemaligen Abgeordneten wird oft deutlich, dass sie sich nur schwer von der Politik lösen können. So streift etwa der frühere Linksfraktionsvize Ulrich Maurer immer wieder durch das Berliner Regierungsviertel. »Ich bin beratend für Gregor Gysi im Fraktionsvorstand tätig«, erklärt der Baden-Württemberger. Zudem ist er noch als Anwalt Mitglied seiner Sozietät. »Ein bis zwei Fälle mache ich im Monat. Das ist ein gleitender Übergang«, erklärt Maurer.
Während manche Abgeordnete wie Maurer etwa aus Altersgründen freiwillig aus dem Parlament ausscheiden, ist für andere die Abwahl eine herbe Enttäuschung gewesen. 119 Politiker haben im September kandidiert und verloren. Eine von ihnen ist Viola von Cramon, die eine Legislaturperiode im Parlament gesessen hat. Im letzten Jahr stand sie ebenso wie 2009 auf Platz 7 der Landesliste der niedersächsischen Grünen. Doch wegen des schlechten Wahlergebnisses der Ökopartei verpasste sie den Wiedereinzug in den Bundestag. Nun scheiterte sie auch mit ihrem Vorhaben, Bürgermeisterin im niedersächsischen Duderstadt zu werden. Sie verlor die Wahl gegen den CDU-Politiker und Amtsinhaber Wolfgang Nolte. Über ihre jetzige Situation will von Cramon mit Journalisten nicht reden. »Ich habe nichts zu verbergen. Das Thema gefällt mir aber einfach nicht«, sagt sie.
Hans-Josef Fell hätte ebenfalls gerne eine weitere Legislaturperiode für die Grünen im Bundestag gesessen. Aber auch für ihn, der in Bayern kandidierte, hat es nicht gereicht. Nun erhält Fell das Bundestagsübergangsgeld. »Ich habe deswegen keine Zwangslage, für meinen Lebensunterhalt sorgen zu müssen«, erklärt der Grüne, der seit 1998 im Bundestag gesessen hatte. Wenn das Übergangsgeld ausläuft, ist er pensionsberechtigt. Allerdings engagiert sich Fell weiter ehrenamtlich für die Umstellung auf erneuerbare Energien und den Klimaschutz. Auf Einladung hält er Vorträge vor grünen Kreisgruppen, Nichtregierungsorganisationen und Solarinitiativen. Neben dem vor vier Jahren verstorbenen SPD-Politiker Hermann Scheer gilt Fell als Erfinder des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Angesprochen auf die Energiepolitik der schwarz-roten Bundesregierung, reagiert er heftig: »Ich bin wütend darauf, dass das Projekt der erneuerbaren Energien, das nun die gesellschaftliche Reife erreicht hat, mit einer großen Akzeptanz in der Gesellschaft und Kostensenkung, von der Großen Koalition in den Sand gesetzt wird.« Die Rückkehr in ein Parlament schließt Fell nicht aus. »Das lasse ich auf mich zukommen«, sagt er.
Nicht leicht hat es Dorothée Menzner, die nach zwei Legislaturperioden für die LINKE nicht mehr im Bundestag sitzt. Sie hatte sich vor der Wahl in ihrem niedersächsischen Landesverband nicht auf der Landesliste durchsetzen können. Einen Job, in den sie nach ihrer Zeit im Parlament zurückkehren konnte, hat Menzner nicht. »Ich bin jetzt in einer Phase der Umorientierung und Weiterbildung, aber noch nicht wieder erwerbstätig«, teilt sie mit. Im Bereich Architektur will die Diplom-Ingenieurin nicht mehr arbeiten. Menzner besucht nun Fortbildungen und Seminare, um Berufsbetreuerin zu werden.
Über ihre Zeit im Bundestag schwärmt Menzner, die sich vor allem mit Umweltpolitik befasst hat, heute noch: »Es hat viel Spaß gemacht.« Vollkommen aus der Politik hat sie sich nicht zurückgezogen. In Niedersachsen ist Menzner noch Mitglied des Landesvorstands der LINKEN. Eine Unterstützung, beruflich wieder Fuß zu fassen, gibt es aber aus der Partei nicht. »Kreis- und Landesebene haben hierzu auch gar nicht die Möglichkeit«, sagt Menzner.
Hinter vorgehaltener Hand äußern sich Politiker drastischer über ihre eigene Partei. Volksvertreter, die 1994 und 1998 aus dem Bundestag ausgeschiedene waren, sprachen im November 2006 in einer Befragung einer Sozialwissenschaftlerin der Universität Oldenburg von einem »tiefen Einschnitt in die Persönlichkeit«. Denn das Bundestagsmandat ist für viele Politiker der Höhepunkt der Karriere. Der Weg dorthin ist lang. »Man muss jahrelang Zettel verteilen und sich die dümmsten Veranstaltungen antun, bis man da mal in die Weihen kommt«, beschreibt ein Ex-Parlamentarier seinen persönlichen Weg in den Bundestag. Danach kann schnell der Abstieg folgen. In der öffentlichen Wahrnehmung spielt das Schicksal vieler einstiger Hinterbänkler aber kaum eine Rolle. »Man sieht nur die, die ordentlich kassieren, aber das Heer derjenigen, die auf die Nase fallen, sieht man nicht«, sagt einer der Interviewpartner.
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