Abschied macht Freude
Rechtsextremer Szenetreff in Lichtenberg schließt zum Ende des Monats
Plakatfetzen hängen an der Spanplatte, die ein Mal ein Fenster war. Die Fassade eines ehemaligen Gardinengeschäftes in der Lichtenberger Lückstraße gibt ein trauriges Bild ab. Hier unterhielten Neonazis drei Jahre lang einen Treffpunkt, den sie über einen Tarnverein angemietet hatten. Bis Samstag müssen sie nun ausziehen. So sieht es ein Vergleich mit dem Vermieter vor. Zum Ende beigetragen hat auch der beständige Druck antifaschistischer Gruppen und zivilgesellschaftlicher Initiativen aus Lichtenberg. Immer wieder demonstrierten sie vor dem Treffpunkt.
Am Donnerstag hatten sie zu einer Kundgebung im gegenüberliegenden Blockpark aufgerufen. Der Auszug des Neonazitreffs sollte gebührend begangen werden. Geboten wurde ein buntes Programm. Auf Ausstellungstafeln und in Redebeiträgen wurde über die Berliner Neonazi-Szene informiert. Das neu erlangte Wissen konnten Jung und Alt gleich vor Ort in einem Quiz testen. Kaffee, Tee und Kuchen gab es zur Stärkung. Neben Musik vom Band gab ein Liedermacher jiddische Partisanenlieder zum Besten.
Weniger entspannt war die Stimmung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Etwa 20 Rechtsextreme nutzten den »Herrentag«, um sich noch mal in ihrem Szenewohnzimmer zu treffen. Doch fanden sie die Zusammenkunft gegenüber offenbar spannender. Fast schon trotzig bauten sie sich vor der Tür ihres Ladengeschäftes auf. Sie versteckten ihre Gesichter hinter Sonnenbrillen und Tüchern, immer wieder versuchten sie, die linken Demonstranten mit Gesten zu provozieren. Gekommen zum Abschied war auch David G. Der Lichtenberger Rechtsextremist ist Gründungsmitglied von »Sozial engagiert in Berlin e.V.« Auf den Namen des Vereins wurden die Räume im März 2011 angemietet.
Ein Blick auf die Mitgliederliste des 2010 angeblich in einer Friedrichshainer Kneipe gegründeten Vereins offenbart ein »Who ist Who« der Berliner Neonaziszene. Neben NPD-Funktionären finden sich hier Aktivisten des Netzwerks »NW Berlin« wieder. In den vergangenen drei Jahren diente der Lichtenberger Treffpunkt ihnen als eine Art Multifunktionsraum. Es wurde gefeiert. NPD-Wahlkampfmaterialien lagerten hier. Die Lückstraße war Schauplatz von Vorträgen und überregionalen Vernetzungstreffen. Regelmäßig gingen von der »L58«, wie der Laden in Szenekreisen genannt wird, Sprühereien und Angriffe auf vermeintliche politische Gegner aus. Gänzlich friedlich lief auch die Veranstaltung am Donnerstag nicht ab. Ein bekannter Anti-Antifa Fotograf stand vor der Tür und lichtete die Antifa-Kundgebung ab. Als es zu einer kurzen Rangelei kommt, stürmen die Neonazis brüllend nach draußen. Die Polizei ging dazwischen und führte einen der Rechten ab.
Der Szenestützpunkt in der Lückstraße ist nur der Letzte in einer Reihe von Neonazi-Treffpunkten im Bezirk Lichtenberg. Hier besetzten sie in den Neunziger Jahren in der Weitlingstraße ein Haus. Seitdem versuchten sich Rechtextreme in der Gegend breitzumachen. Es folgten Bekleidungsgeschäfte und diverse Kneipen. Sie alle gehören inzwischen der Vergangenheit an. Bezirksbürgermeister Andreas Geisel (SPD) erinnert in seinem Grußwort an die Antifaschistischen an die Zeiten, in denen insbesondere der Weitlingkiez »übel beleumdet« war. Inzwischen habe sich aber einiges geändert, betont Geisel. Er bedankt sich bei den Engagierten, die gegen die Neonazis »aufgestanden« seien und den Bezirk inzwischen zu einem »bunten Ort« machen.
Zivilgesellschaftliches Engagement zahlte sich zuletzt nicht nur in Lichtenberg aus. Auch die Reihen in der bisher als »Braune Straße« verschrienen Brückenstraße in Schöneweide lichten sich. Ende März schloss die Szenekneipe »Zum Henker«. Einen Monat später folgte der Bekleidungsladen »Hexogen« des NPD-Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke. Zumindest in Lichtenberg gibt es auch schon Ideen für die Nachnutzung der Lückstraße. Die ausgestellten Entwürfe des Wettbewerbs »Bunter Wind für Lichtenberg« zeigen das alte Gardinengeschäft als neuen Jugendtreff.
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