Kehraus in der Rue Félix Faure
Das Ende des ND-Büros in Paris
Herbst 1990. Ausräumen, besser gesagt, Leerräumen in den letzten Institutionen eines sich von der Weltbühne verabschiedenden Staates. Stefan Steinlein stellte sich eben noch in der Botschaft in der Rue Marbeau vor, als neuer und letzter Vertreter der DDR in Frankreich. Im Kulturzentrum der DDR am Boulevard Saint-Germain präsentierten Wenzel & Mensching »Letztes aus der DaDaeR« - ein gar nicht mehr so lustig-satirisch-politisches Programm. Und viele der Freunde der DDR, die gekommen waren, verdrückten sich Tränen. Der Freude? Das westdeutsche Goethe-Institut war bereits hier, hatte im bibliothekarischen Nachlass gestöbert. Was es nach einer Vorauswahl übriggelassen hatte, »lag am Morgen danach auf dem Trottoir - für die Müllabfuhr«, wie »Der Spiegel« in seiner Mai-Ausgabe 1991 wusste.
Über die allerletzte Verwertung der Gebäude befanden dann wohl die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und das Bundesfinanzministerium. Nicht nur in Frankreich ...
BRD-Botschafter Franz Pfeffer, Diplomat vom alten Schlage, hatte in seine Residenz zum Einigungsumtrunk geladen, mit der Stimmung einer Pflichtveranstaltung. 3. Oktober 1990 - seither ist der Autor dieser Zeilen ein Feiertagskind. Danke, aber es wäre nicht nötig gewesen.
Ein Jahr später erreichte das ND-Büro die Nachricht aus der Berliner Redaktion: Im November ist Schluss. Traurig, aber wahr. Jedoch ganz so unlustig wiederum auch nicht. Wer von deutscher Bürokratie noch nicht genug hat, sollte es mit der französischen probieren. Herzerfrischend und haarsträubend zugleich:
Für unser Auto bekommen wir bei der Assurance Mutuelle, gegen Bezahlung, eine Jahresversicherungsvignette. Es sei denn, man bekommt sie, wenn man sie braucht. Tägliche Telefonate, ständig neue Ansprechpartner. (»Monsieur X ist heute nicht da. Worum geht es? Ich muss nachfragen.«) Erst nach einem nicht eben stubenreinen französischen Fluch und verdutztem Schweigen dann plötzlich ein Terminvorschlag, schon für den nächsten Tag. Nur gut dass die Autoummeldung hier in Berlin erfolgte.
Für was ist ein Energievertrag nötig? Oh, ohne einen solchen ist man ein Nichts. Nur wer solch einen Vertrag vorweisen kann, existiert, ist Partner, ist kreditwürdig und was sonst noch. Der Abschiedsschriftverkehr plus übersetzten Beglaubigungen, dass man tatsächlich das Land verlässt und deshalb nichts mehr zahlt, hatte einen beträchtlichen Umfang.
Lustiger wurde es mit der Hausverwaltung. Ein zähes Unternehmen, das über unsere Mietwohnung als Vertreter der in Südfrankreich lebenden Eigentümerin wachte. Kampf um jeden Franc. Bei einer Miete von zuletzt 11 700 Franc (damals etwa 3000 DM). Monatlich! Mit etwa 3000 Franc hatte das Mietverhältnis Anfang der 1970er Jahre begonnen. Seither war kaum investiert worden. Monsieur Klein von der Hausverwaltung, der auch über unser »Dépot de garantie«, die Kaution im niedrigen fünfstelligen Franc-Bereich, wachte, »erkämpfte« sich letztlich 1500 Franc - für die Erneuerung der Tapete an einer einzigen Wand im Wohnzimmer. Welch ein Sieg. Vive la France.
Den Vogel schoss Monsieur Lefevre ab, der Wohnungsauflöser. Das Positive: Alle Einrichtungsgegenstände nahm er mit. Das heißt, seine Leute trugen sie über die enge Wendeltreppe weg. Der Fahrstuhl war lediglich für meine Frau und mich, unseren Hund und eine Kiste Wasser ausgelegt. Lefevres Addition - 13 000 Franc.
Das Negative, die Gegenrechnung: Abzug für Transport-, Lohn- und Lagerkosten, Kommissionsgebühr, Risikobetrag, Honorar - unterm Strich blieben 1500 Franc, rund 300 DM, etwa 150 Euro. Alles hat seinen Preis.
Dann waren sie gepackt, vier große Transportkisten standen in der Rue Félix Faure. Doch ohne entsprechende »Papiere« - eine Provisorische Aufenthaltsgenehmigung auf hellgrünem dickem Papier sowie einem vorgedrucktem Formularabriss mit dem Ausreisedatum von, bis - kam das Hab und Gut nicht aus Frankreich heraus. Antrag bei der Préfecture. Dort bekam ich 1990 meine »Carte de Séjour«, die damals noch nötige, EC-kartengroße, hübsche Aufenthaltsgenehmigung, die eben noch verlängert wurde. Stattdessen das nun nötige, besagte Stück Packpapier mit Foto.
Interessant, dass sowohl die alte, die neue Carte als auch das »Packpapier« noch 1991 als Herkunftsland die Bezeichnung Allemande Est, Ostdeutschland trugen, nicht Bundesrepublik Deutschland. Es dauerte damals in Frankreich, bis man sich mit der deutschen Einigung arrangieren konnte. Oder wollte. In den Institutionen deutlich länger als in der sogenannten großen Politik.
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