Unternehmerverbände sehen Vergabe kritisch
Jurist bewertet Verfahren als »rechtsfehlerhaft«
Die Berliner Senatsverwaltung möchte der Privatwirtschaft in Gestalt der Gasag die Betreibung des Gasnetzes entziehen - und in die Hände der landeseigenen Berlin Energie geben. Es liegt auf der Hand, dass die Privatwirtschaft ob dieser Gefährdung einer guten Verdienstmöglichkeit wenig erfreut ist. Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) stellten am Montagvormittag eine in Auftrag gegebene juristische Stellungnahme vor, um im Vorfeld der möglichen Entscheidung im Berliner Senat am heutigen Dienstag Druck auf die Landesregierung auszuüben. Denn Helge Sodan, Verfasser der Stellungnahme und ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofes Berlin, ließ keinen Zweifel, dass er das Verfahren der Senatsverwaltung für »rechtsfehlerhaft« hält. Auf die Frage, ob er auch Argumente einer Gegenposition, also einer, die die Vergabe für korrekt hält, formulieren könne, sagte Sodan: »Das überfordert mich. Ich sehe keine Gegenargumente.« Und er versicherte, dass er als Rechtswissenschaftler auftrete, keine Kontakte zur Gasag habe und auch kein Lobbyist sei.
Kern der Kritik an der Konzessionsvergabepraxis ist Sodan zufolge ein mehrfacher Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Dieses resultiere aus im Dezember letzten Jahres ergangenen Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Stromnetzvergabe in Heiligenhafen und Berkenthin. Dem Urteil des BGH kommt grundsätzliche Bedeutung zu, weil Gemeinden, die ihr Gas- oder Stromnetz rekommunalisieren wollen, das nicht ohne Weiteres tun können. Vielmehr wird ihnen vorgegeben, stets ein wettbewerblich transparentes Verfahren durchzuführen. Ein kommunales Unternehmen darf nicht einfach bevorzugt werden.
Das daraus folgende Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot sieht der Rechtswissenschaftler Sodan in Berlin aber verletzt. Und zwar, weil im sogenannten zweiten Verfahrensbrief des Senats die Bewertungskriterien durch »verschiedene, teilweise umfangreiche Unter- und Unterkriterien präzisiert« werden. Problem dabei: Welchen Anteil diese an der Bewertung haben sollen, bliebe offen.
Sodan, der Wert darauf legte, dass er kein juristisches Gutachten, sondern angesichts der kurzen Zeit lediglich eine Stellungnahme abgebe, führte als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot die »Change-of-Control«-Klausel an. Mit dieser komme bei Änderung der Beteiligungsstruktur Berlin ein Kündigungsrecht zu. Das »bevorzugt eindeutig den Landesbetrieb Berlin Energie«, sagte Sodan. Ein privates Unternehmen dürfe sich nämlich aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf eine solche Vertragsregelung einlassen, heißt es in seiner Stellungnahme. Ein weiterer Kritikpunkt - wiederum mit Bezug auf die BGH-Urteile - ist die nicht genügende Gewichtung des Kriteriums Netzsicherheit. Konsequenz: Ein Abschluss eines Konzessionsvertrags mit Berlin Energie sei wegen des rechtsfehlerhaften Auswahlverfahrens »nichtig«. UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck fordert deshalb die Wiederholung des Konzessionsvergabeverfahrens.
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