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Nur Orbán weiß, was Ungarn nützt

Regierungsmehrheit stimmte für den Ausbau des Atomkraftwerks Paks mit russischem 10-Milliarden-Kredit

  • Gábor Kerényi, Budapest
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Montagabend ratifizierte Ungarns Parlament das Gesetz über ein russisch-ungarisches Kreditabkommen zum weiteren Ausbau des ungarischen Atomkraftwerks Paks.

Die Vorgeschichte: Als sich Ungarns Regierungschef Viktor Orbán von den westlichen Verbündeten immer stärker isoliert fühlte, vollzog er eine außenpolitische Kehrtwende und begann ostwärts Partner zu suchen. Im Zuge dieser Trotzoffensive reiste er Anfang des Jahres nach Moskau. Bei der Rückkehr von den zu Oppositionszeiten noch heiß gehassten Russen hatte er ein Überraschungsabkommen in der Tasche: Das ungarische Atomkraftwerk in Paks an der Donau, das bereits mehr als 30 Jahre auf dem Buckel hat, wird ausgebaut.

Der Bau zweier neuer Reaktorblöcke mit einer Leistung von je 1200 Megawatt ist das bisher größte einzelne staatliche Vorhaben Ungarns. Russland gewährt dafür einen 10-Milliarden-Euro Kredit. Überflüssig zu erwähnen, dass es keine Ausschreibung für das Projekt gab. Gesellschaft oder Parlament wurden vorher in keiner Weise informiert, das Vorhaben wurde streng geheim gehalten, selbst Politiker der Regierungspartei FIDESZ vernahmen die »großartige« Nachricht mit Überraschung.

Um die Größenordnung zu veranschaulichen: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt beträgt mehr als das 27-Fache des ungarischen. Orbáns einsame Entscheidung entspräche also einem geheimen Beschluss Angela Merkels über eine Staatsinvestition in Höhe von etwa 280 Milliarden Euro. Der Vertrag wurde in Ungarn vorerst nicht öffentlich gemacht, russischsprachige Zeitgenossen konnten den Inhalt für kurze Zeit im russischen Internet nachlesen.

Demnach sind die Bedingungen für Ungarn äußerst nachteilig. Das Projekt wird von Russland finanziert und von Rosatom, der staatlichen Atomenergiebehörde Russlands, gebaut. Ungarn muss mit 3 Milliarden Euro Eigenmitteln einsteigen, auch das wurde im Lande zunächst verheimlicht. Mit der Rückzahlung des Kredits muss 2026 begonnen werden, und zwar unabhängig davon, ob die Blöcke bis dahin fertiggestellt sind oder nicht. Zinsen für den 10-Milliarden-Kredit sind aber sofort zu zahlen, sie belaufen sich bis 2026 auf insgesamt 12 bis 13 Milliarden Euro. In den ersten sieben Jahren beträgt der Zinssatz 4,5 Prozent - ein Prozentpunkt mehr als derzeit bei langfristigen Staatsanleihen üblich, fast zwei Prozent über dem, was derzeit der IWF bietet. Danach steigen sie für weitere sieben Jahre auf 4,8 Prozent und in den letzten sieben Jahren wird Ungarn 4,9 Prozent berappen. Im Falle eines Zahlungsverzugs von über 15 Tagen muss das Land 150 Prozent Quasi-Strafzinsen bezahlen. Etwaige Kursverluste belasten selbstverständlich Ungarn, ein Land, wo Fremdwährungskredite etliche Staatsbürger ins Elend gestürzt haben. Viele sehen daher eine über 30 Jahre dauernde unüberschaubare Verschuldung gegenüber Russland programmiert.

Meinungsforschungsinstitute ermittelten, dass im Lande des Zweidrittelwahlsiegers Orbán 56 Prozent der Bevölkerung gegen den Ausbau von Paks durch die Russen und 59 Prozent für eine Volksbefragung in Sachen Atomkraftwerkausbau sind. Eine Volksbefragung wurde initiiert, aber sowohl von der Wahlbehörde als auch vom Gericht untersagt, weil im Grundgesetz geschrieben steht, dass über internationale Abkommen keine Volksabstimmung abgehalten werden darf. Dass es sich in diesem Fall lediglich um eine Volksbefragung gehandelt hätte und das Abkommen mit Russland noch gar nicht in Kraft getreten war, ließ die von Orbán eingesetzte Juristenelite brav außer Acht.

Orbán darf sich freuen, dass er dem ihm gegenüber kritisch eingestellten Westen und vor allem der EU vermeintlich eine Ohrfeige verpassen kann. So schaut es aus, wenn Regierungschefs mit diktatorischen Neigungen ihrem Hass unkontrolliert freie Bahn lassen. Die Rechnung zahlt das Land.

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