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Innerer Abschied von Demokratie
Landtag debattierte zweiten Tätigkeitsbericht der Stasi-Landesbeauftragten Ulrike Poppe
Das ungeschriebene Gesetz der Aufarbeitung, wonach Versöhnung bei der Abrechnung mit der DDR am besten zu vermeiden ist, wurde Freitag im Landtag verletzt. Es gelte, auf dem langen Weg einer sich mit sich selbst versöhnenden Gesellschaft weiterzugehen, sagte Bildungsministerin Martina Münch (SPD), als der zweite Tätigkeitsbericht der Stasi-Landesbeauftragten Ulrike Poppe zur Debatte stand. Mit diesem Appell stand Münch allerdings einsam da.
Vor fünf Jahren wagte der damalige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), dem Gedanken der Versöhnung mit DDR-Anhängern Raum zu geben. Er erntete Beschimpfungen und Schmähungen. Die jetzige Parlamentsdebatte zeigte erneut: Alle Konflikte der Weltgeschichte können irgendwann einmal in Versöhnung enden, dieser aber scheinbar nicht. Platzeck sorgte 2009 gemeinsam mit seinem neuen Koalitionspartner LINKE für eine Beauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur - so der offizielle Name - und stattete sie großzügig mit Finanzmitteln und Personal aus.
Ministerin Münch wies darauf hin, dass zusätzliches Geld für diese Anlaufstelle bewilligt wurde. Das Thema habe seinerzeit »heftige Kontroversen« ausgelöst, inzwischen gelinge es immer besser, das damalige Unrecht wahrzunehmen. Für viele Menschen werde weiterhin schmerzhaft bleiben, was sie einst in der DDR erleben mussten, sagte Münch.
Zu Beginn hatte die Landesbeauftragte Poppe dargelegt, dass die strafrechtliche Rehabilitierung von Menschen, die vor 1990 Unrecht erfahren haben, weitgehend abgeschlossen sei. Nun gehe es um Beratung, um Haftentschädigung, berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung, um Rentenausgleich und Opferrente, um Hilfe bei Archivrecherchen und um psychologische Betreuung. Nach Einrichtung der Behörde sei es zu einem Anstieg bei der Stasi-Überprüfung von Amtsträgern gekommen. Sie als Beauftragte werde konsultiert, wenn sich Menschen zu Unrecht beschuldigt sehen, oder wenn jemand annimmt, dass eine andere Person in ihrer derzeitigen Funktion nicht tragbar sei, sagte Poppe.
Mitgeteilt wurde im Tätigkeitsbericht, dass von rund 75 000 einstigen Heiminsassen, die heute in Brandenburg leben, in den vergangenen zwei Jahren 190 vorstellig geworden sind.
Dieses Thema nutzte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel zu massiver Richterschelte. In mehreren Fällen seien einstige Heiminsassen an »unseren Gerichten gescheitert«. Vogel warf den Richtern vor, den Eindruck unzureichender Kenntnis zu vermitteln. Dies werde deutlich beim »unkritischen Übernehmen von Zitaten aus DDR-Jugendhilfeakten«, die auf diesem Wege »bis heute die Deutungsmacht über das Leben der Antragsteller behalten«. Deswegen verzweifeln die Betroffenen nach Vogels Darstellung »an den Gerichten des Rechtsstaates« und verabschieden sich innerlich von der Demokratie.
An die LINKE-Abgeordneten jeglichen Alters gewandt erklärte CDU-Vizefraktionschef Dieter Dombrowski, sie hätten sich ausnahmslos zur Gesamtverantwortung für die SED-Politik zu bekennen, so wie alle Deutschen die Staatsschuld für die Verbrechen der Hitlerzeit nicht leugnen werden. »Seien wir alle ein bisschen demütiger und toleranter und nicht so rechthaberisch«, forderte Dombrowski.
Für die LINKE dankte der Landtagsabgeordnete Peer Jürgens »für diese Anregung«. Doch glaube er nicht, dass seine Partei »dieser Anregung bedurft« hätte, sagte er. In der Aufarbeitungskommission des Landtags wurde der Linkspartei die intensivste Beschäftigung mit ihrer eigenen Vergangenheit attestiert. Der CDU dagegen wurden die größten Defizite bescheinigt.
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