Humboldt will endlich Abitur machen
Das Projekt Gemeinschaftsschule gilt als geglückt / Senat laboriert an neuen Kooperationsmodellen
Erst kürzlich hat es eine Studie belegt: Die zum Schuljahr 2008/09 noch als Experiment eingeführte Gemeinschaftsschule in Berlin hat sich über die Jahre zum Erfolgsmodell entwickelt. Eine Schule, die sich unter den 22 Gemeinschaftsschulen Berlins besonders gut gemacht hat, formuliert inzwischen selbstbewusste Ansprüche: Sie will das Abitur. An der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Pankow lernen die Schüler nur bis zur zehnten Klasse zusammen. Die, die die Sekundarstufe II besuchen wollen, müssen bislang die Schule wechseln. »Wir fordern kein Elitenprojekt, sondern für uns geht es um ein Zeichen, wo es mit dem Projekt Gemeinschaftsschule hingehen soll. Wir sind eine Schule für alle«, sagt Elternvertreterin Carola Ehrlich-Cypra. Die Humboldt-Schule ist mehrfach ausgezeichnet, wurde erst kürzlich von der Schulinspektion zu einer der besten Berlins gekürt. Der Andrang ist groß, die Warteliste voll. Die Schüler lernen in verschiedenen Lerngruppen altersgemischt zusammen.
Eine wissenschaftliche Studie, die das Berliner Gemeinschaftsschulprojekt seit Jahren begleitet, hatte die Kernidee, den Lernerfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln, erst kürzlich als geglückt eingeschätzt. Schüler aus drei Berliner Gemeinschaftsschulen, die laut der Untersuchung aus »benachteiligten Sozialmilieus« stammen, hatten ihre privilegierteren Mitschüler am Ende der Sekundarstufe I mindestens eingeholt.
An der Humboldt-Schule, die am vergangenen Donnerstag fünfjähriges Jubiläum feierte, lernen laut eines Berichts der Schulinspektion hauptsächlich Schüler aus »bildungsnahen Elternhäusern«. In zwei Jahren würden die ersten Schüler in die Oberstufe wechseln, wenn es denn die entsprechenden Voraussetzungen geben würde, und die betreffen vor allem die Frage nach den Räumlichkeiten.
Erst am Dienstag hatten sich Vertreter aus Senat und Bezirk mit den Eltern getroffen, um erneut Möglichkeiten auszuloten, damit die Humboldt-Schule ihre eigene Oberstufe bekommt. Die Vorstellungen gehen dabei auseinander. Der Senat hat Visionen und favorisiert ein neuartiges Kooperationsmodell mit dem Elinor-Ostrom-Oberstufenzentrum (OSZ) in Pankow. Die Schulleitungen sollen sich nun über ein erstes Konzept Gedanken machen. Für die Elternvertretung ein akzeptables, wenn auch nicht perfektes Angebot, dessen Planung aber viel Zeit kosten würde. »Die Idee hat Potenzial, aber man macht es sich zu einfach, wenn die anderen jetzt erst mal machen sollen«, sagt Ehrlich-Cypra. Auch das OSZ stößt an ihre Kapazitätsgrenze. In Pankow leben knapp 380 00 Menschen, bis zum Jahr 2030 soll die Bevölkerungszahl um 16 Prozent steigen, das ist Spitze in Berlin. Für den Bezirk bedeutet das auch, den Schulen mehr Räume zur Verfügung stellen zu müssen. Allein der Ausbau bestehender Schulstandorte reiche da aber nicht aus, heißt es im Schulentwicklungsplan des Bezirks. Vor allem an Gymnasien fehlt es. »Unsere SchülerInnen sind Teil der künftigen Abiturienten und dürfen nicht weiter in einem Topf zwischen Bezirk und Senat hin- und hergereicht werden«, heißt es hingegen in einem Offenen Brief der Elternvertreter an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) in Bezug auf den vom Bezirk angemeldeten Bedarf an Gymnasialplätzen. Als Alternative käme das ehemalige Gebäude der Coubertin-Oberschule infrage, das jedoch schon an ein Gymnasium verplant ist. »Wir würden zur Not auch in Container ziehen«, sagt Ehrlich-Cypra.
Auch die Bezirksverordnetenversammlung Pankow befürwortet die Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe an der Wilhelm-von-Humboldt-Schule ab Sommer 2016. Das Bezirksamt hat zugesichert, die räumlichen und organisatorischen Voraussetzungen dafür zu prüfen. Am kommenden Dienstag werden sich Bezirk, Eltern und Senat noch einmal treffen, um zwischen OSZ-Vision und einer eigenen Oberstufe eine Lösung zu finden.
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